Donnerstag, 31. Dezember 2020

Die Corona-rote Brille - Gedanken zum Jahr 2020

 

Vom Sterben der Kultur und invertiertem Denken

Es ist schwer einen Schlussstrich unter diesem Jahr ziehen zu können, denn seit dem Eintritt von Corona in unsere Gesellschaft vergeht die Zeit spürbar anders. Nahezu alles, was einst Routine, Geradlinigkeit und Struktur, man könnte auch sagen „Normalität“, in unseren Alltag brachte, tanzt seither nach dem Takt des Virus. Arbeit und das kulturelle Leben finden mal hier, mal dort, in Maßen, oder gar nicht statt. Tradierte Festtage, Kitas, Schule, Universität und Sport, die festen Konstanten, die Fixpunkte, die unveränderlichen und gleichförmig wiederkehrenden Elemente des Systems, sie sind zu Variablen und prekären Unsicherheiten in einem stürmischen Meer der Zeit verkommen. Spätestens mit dem Lockdown 2.0, der die besinnliche Gemeinsamkeit der Weihnachtszeit gerade zur Unkenntlichkeit beschnitten hat, scheint eine für uns orientierbare Zeitlinie vollends zerfallen zu sein. Wenn wir also am heutigen Tage den kalendarischen Umbruch feiern, halten wir zwar an einer schönen Tradition fest, doch gleichzeitig wohnen wir lediglich der Illusion eines Neuanfangs bei, den wir überdeckt vom omnipräsenten Überbau des Infektionsreports kaum spüren werden.

Passend dazu wurde unser Gefühl und unsere Wahrnehmung von Zeit dieses Jahr auf kreative Art und Weise irritiert. Wer im Spätsommer nicht längst der Hysterie verfallen war und den solidarischen Gang an die Kinokassen wagte, durfte auf der großen Leinwand endlich wieder intelligente Blockbuster-Unterhaltung erleben. Christoper Nolans opulentes Actionspektakel „Tenet“ bildete einen der wenige Leuchttürme, die mir gleich zwei Kinobesuche wert waren - dem eigenen Verständnis um des Filmes willen konnte das ebenso wenig schaden wie der finanziellen Situation der Lichtspielhäuser.

Sicherlich ungewollt, aber aktueller hätte das neuste Machwerk des amerikanischen Regisseurs wohl kaum ausfallen können. Auf der Oberfläche dreht sich die Geschichte von „Tenet“ zwar relativ unoriginell in traditioneller James-Bond Manier um Geheimorganisationen, Weltuntergangswaffen und böse Russen, darunter findet sich mit dem Prinzip der invertierten Zeitverläufe allerdings ein einzigartiges, noch nie dagewesenes und fulminant umgesetztes Konzept, das brisante gesellschaftliche Fragen aufgreift und zur dehnbaren Interpretation einlädt. Zeit verläuft ineinander, die Zukunft greift die Gegenwart an und das Gegenwärtige kämpft plötzlich gegen die temporalen Folgen ihres eigenen Handelns an. Parallelen zum Voranschreiten der Pandemie liegen plötzlich brach und lassen sich auf leichtes mit unserer scheinbaren Ungewissheit verknüpfen. Von der Leinwand vorgeführt und aufgerüttelt, sehen wir uns selbst wie der Protagonist in „Tenet“ im täglichen Anlaufen gegen eine bedenkliche Entwicklung, deren Vorboten uns rückwirkend und längst erreicht haben. Vieles von dem, was über lang oder kurz prognostiziert, bzw. befürchtet wurde, ist in dieser Pandemie letztlich eingetreten und überraschte kaum mehr, als wäre die Zukunft unlängst geschehen. Und genauso unheilvoll strahlen die Geschehnisse des Jahres 2021 bereits zurück auf den heutigen Tag, als hätten sie bereits stattgefunden.    

„Tenet“ statuierte diesbezüglich ein ausgezeichnetes Exempel für die Kraft des Kinos und gab stellvertretend ein deutliches Statement ab, wonach Kunst und Kultur ihrem Wesen nach mehr als reine Unterhaltung zu verstehen sind. Sie sind immer ein Spiegel der Zeit, begleiten das historische Geschehen, bilden Veränderungen in der Gesellschaft ab, reagieren auf Entwicklungen und Diskurse, sowie den technischen Fortschritt und diskutieren in aktuellen Debatten mit. Nicht immer, aber in den besten Momenten erzeugen die Kulturschaffenden und Künstler solche Produkte und Werke, die wie in Nolans modernem Klassiker, einen wichtigen Kommentar beinhalten und den Rezipienten mit den Gedanken seiner eigenen Realität konfrontieren. Es ist daher geradezu eine Tragödie, dass eben jenes besondere Spektakel, welches noch auf Analogarbeit und Haptik setzte, dem Publikum eine originäre Erzählung lieferte und uns einen Hauch von Halt und Orientierung anbot, schließlich nicht im Stande war, den sterbenden Kinos einen hoffnungsvollen Aufwind zu verleihen und letztlich unter unsinnigen Vorbehalten und den Reglementierungen der Pandemiepolitik, keine Aussicht auf Erfolg fand. Eine verheerende Nachricht, die den ohnehin angeschlagenen Optimismus der Branche weiter zu schaffen machte.        


Hinsichtlich kulturellen Happenings bildete eines der wenigen Highlights in diesem Jahr außerdem ein Interview mit Visions-Redakteur Jan Schwarzkamp, welches ich für den Radiosender HORADS führen durfte und ich zu einem späteren Zeitpunkt noch verlinken werde, sobald es aus dem Schnittraum entlassen wird. Wir diskutierten damals im Rahmen der Musikszene die Frage, inwieweit die Stimmen der Betroffenen in dieser Zeit überhaupt Gehör finden und woher die teils völlig willkürlichen Einschränkungen der Eventbranche zu erklären seien. Einen Reim darauf konnten wir uns jedenfalls nicht machen. Ich merkte damals leise an, dass Kunst und Kultur zwar nicht systemrelevant seien, ihnen aber durchaus eine systemleitende Rolle zugesprochen werden kann. Und möglicherweise fehlte es zunächst an Selbstbewusstsein, sich dieser Verantwortung bewusst anzunehmen. Zwar sah man schlagenden Herzens die Alarmstufe-Rot Demo in Berlin, die ein oder andere Aktion vom Sterben und Bluten der Szene, „Die Ärzte“ in den Tagesthemen, aber von einem kollektiven Aufschrei war man noch weit entfernt. Obwohl nicht nur etliche anhängende Existenzen ihren Platz von heute auf demnächst fürchten müssen und das kulturelle Leben jeher in der Bewältigung von Trieben, wie auch in der Rolle als wesentlicher psychischer Stabilisator fungiert, fiel das Vertrauen in Corona-konforme Veranstaltungen und Erlebnisse völlig unter die Akzeptanzgrenze der agierenden Politiker. Die Shutdown-Entscheidungen im November, wonach die Infektionsgefahr insbesondere an solchen gemeinsamen Kulturstätten nicht zu verkraften seie, war schlussendlich nicht mehr wissenschaftlicher Evidenz begründet, sondern baute auf persönlichen Überzeugungen und Präferenzen. Wenn man in Notzeiten auf Abstriche machen muss, dann bitte bei Kunst, Kultur und im engeren Sinne die Gastronomie. Statt einem Leben mit dem Virus, wählte man also abermals den existenziellen Tod eines ganzen Teilsystems und seiner Akteure. Aus Sicht der Regierung sicherlich verständlich, denn gemein sind Kunst und Kultur ihre Rollen als größte Kritiker des Politischen. Ihr Fehlen und ihre stille Abwesenheit sind deswegen vielleicht symbolisch für ein Jahr, in dem Regierungstreue meines Erachtens viel zu groß geschrieben wurden. Wäre die Gesellschaft eine Gartenlandschaft, so sind Kunst und Kultur die unverkennbaren Rosen. Das Irritierende, das Spitze, die scharfen Dornen der Kunst- und Meinungsfreiheit, die die Augen verletzen, aber auch stets wissen, unsere Gedanken aufzurütteln, sie wurden in der Krise glimpflich vernachlässigt, zurückgebildet und ausgedörrt. Den Blick von der Schönheit ihrer Blüten wandte man kaltblütig ab, behandelte sie wie lästiges Unkraut und ihnen lebensermöglichendes Wasser zu spenden war den wenigsten ein vorderstes Ansinnen. Von da an verschwand ein bedeutsamer Teil unserer Sinne für die Schönheit des Lebens, die Kritik an der Wissenschaft und dem Gefühl des Miteinanders. Was uns von nun an auszeichnete, das musste sich in notwendiger Leistung bemessen. Nur das Notwendigste, die notwendigsten, minimalsten Bedürfnisse zählten jetzt noch - das Klopapier. Und der oberste Grundsatz lautete dementsprechend, das System darf unter keinen Umständen einbrechen – Systemrelevanz ist die Devise, auch wenn sie weiterhin seelenlos wie ein Uhrwerk dahintickt.  


Ökonomisch betrachtet sind die vergangenen Entwicklungen ebenfalls höchst bedenklich. Musste man sich als gestandener Künstler schon vor der Pandemie beispielsweise mit Streaming-Anbietern wie Spotify herumschlagen, welche Monopolist und schlechte Entlohnung für Musiker in einem verbinden, setzte die Krisenpolitik der Bundesregierung noch einen drauf. Man könnte meinen, der längst überflüssige Fokus auf Digitalisierung täte den vertanen Chancen der Vergangenheit gut und man könne sich endlich auf landesweite 5G-Netze, Glasfaser und Online-Unterricht freuen. Die Realität sah allerdings so aus, dass der vorangegangene Mangel an IT-Infrastruktur nun mit Angeboten von bereits existierenden Anbietern kompensiert wurde. Mit wenigen Ausnahmen, wie der deutschen Firma „Team-Viewer“, sind die meisten dieser Anbieter ausländische Konzerne, die in den letzten Jahren ohnehin die Spitze der Aktienkurse übernommen haben und sich dank Steueroasen und Marktmonopolismus irgendwie weiter durchschummeln. Und ausgerechnet diesen Firmen erweisen wir nun einen Bärendienst. Gab es vor Corona noch die Hoffnung für Künstler, zumindest einen Absatzmarkt für Konzerte oder andere Live-Veranstaltungen in Anspruch zu nehmen, brachen diese Einnahmemöglichkeiten nun vollends weg. Der Markt, und damit auch das Angebot, wurden so gesehen durch staatliche Interventionen weiter künstlich beschnitten und die Konsumenten alternativlos auf die digitalen Plattformen getrieben. Letzteres stärkt wiederum deren Position als Platzhirsche und damit auch Konditionen und Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber Künstlern, die in Krisenzeiten mehr denn je auf digitale Vertriebsmöglichkeiten angewiesen sind. Ein perfekter Sturm also.

Nicht zuletzt werden diesbezüglich jegliche ehrwürdigen Bestrebungen bombardiert, die es sich prä-Corona zur Aufgabe gemacht hatten, das Analoge als Gegentrend wieder aufleben zu lassen. Plattenläden, Larps, Escape-Rooms, Pen & Paper-Kreise oder Buchklubs sind da nur einige Betroffene, deren wichtigstes Charakteristikum, das nahbare Miteinander und Physische, nun endgültig als verwerflich abgetan wird. Die einzige Hoffnung, die ich mir davon versprechen möchte, liegt in einer ureigenen Sehnsucht, die vielleicht nach all der Deprivation an Analogkultur und nach der Zurücknahme der Maßnahmen, in einer vollständigen Entladung kulminiert. Anders gesprochen, vielleicht braucht es diesen Verzicht, um wieder zu verstehen, welchen Wert die gewelkten Rosen, die wir in ihren Farben und Formen doch eigentlich schätzen, für uns beherbergen.

Allerdings möchte ich auf der anderen Seite nicht ausschließen, dass ein Großteil der Menschen und darunter insbesondere Kinder und Jugendliche, welche während der Pandemie in einer Entwicklungsphase stecken, dagegen einen noch stärkeren Bezug zu digitalen Medien erhalten, als er ohnehin schon vorhanden scheint. Jugendzentren, Bandproben, gemeinsames Feiern sind tabu, aber der Drang den Kontakt zu Freunden aufrecht zu erhalten bleibt selbstverständlich bestehen. Und wer ermöglicht es, diesen Durst zu stillen ? Whats-App, Telegramm, Twitter, Facebook, Instagram und ihre weniger verbreiteten Konkurrenten. Die sozialen Medien, die nicht erst seit der Dokumentation „The Social Dilemma“ stark in der Kritik stehen, dass sie potenzielles Gift für die psychosoziale Gesundheit injizieren. Und die Befürchtung liegt hier nahe, parallel zu Corona ist eine ganz andere Pandemie auf dem Vormarsch.

Infodemie, Cancel Culture, Wände und ein Appell für freie Debattenräume

In vielerlei Hinsicht wirkte Corona 2020 wie ein Brennglas, das ohnehin prekäre Problemzustände unserer Gesellschaft nochmals deutlicher aufzeigte und unseren Blick weiter schärfte. Da wäre die verpatzte Beschäftigung mit den Herausforderungen der Digitalisierung, die gerechtere Entlohnung und Arbeitsgestaltung von systemrelevanten Berufen wie dem Pflegepersonal, Tönies dunkle Fabrik der Fleischmassenherstellung, die generelle Vitalität und Resilienz in der Bevölkerung, aber auch ein Mangel an vernünftiger Kommunikations- und Debattenkultur. Verlässt man die rein medizinisch, sachliche Thematik der Pandemie zugunsten einer Metaperspektive über den Informationsaustausch, kann an den beobachteten Phänomenen schnell festgestellt werden, dass wir dieses Jahr als Gesellschaft verstärkt zwischen dem Aufstieg von „Cancel Culture“, Filter-Blasen, Shitstorms und Empörungskultur waberten – von Verschwörungstheorien ganz zu schweigen.

Die schlimmste Aussage, die man von Regierungsseite dahingehend dieses Jahr vernehmen durfte, war die Aussage : „Vertrauen sie den Experten!“ Vermutlich ließe sich der gesamte Konflikt um Protestbewegungen und Ausschreitungen mehr oder weniger an dieser unscheinbar lapidaren Äußerung festmachen. Entscheidend für die Einschätzung einer solchen Unverschämtheit, die vielleicht von Wohlwollen und besten Absichten herrührt, ist der Hintergrund und Kontext, in dem dieser Satz von Menschen verstanden und empfunden werden darf. In einer liberalen Demokratie als paternalistischer Staat aufzutreten, Grundrechte in umfassenden Maße einzuschränken, gleichzeitig Menschen ihrer fehlenden Expertise wegen aus öffentlichen Debattenräumen herauszuhalten und im selben Moment an blindes Vertrauen zu appellieren, deutet nicht nur auf die Unfähigkeit zum Diskurs hin, sondern ist ein Anzeichen von hochnäsigem Elitendenken, welches alles andere als Vertrauen schaffen wird. Sicher, wir sind keine 80 Millionen Virologen und Drosten zählt zu den wenigen Prozent, die ihr Fach verstehen wie kein zweiter. Lustigerweise betonte er selbst jedoch im März, man dürfe keinesfalls auf ihn alleine hören, sondern müsse unterschiedliche Wissenschaftler, auch anderer Bereiche, befragen und zu Wort kommen lassen, denn die Komplexität erfordere es geradezu, dass einige wenige außerstande seien, die Fragen der bevorstehenden Herausforderung zu meistern. Es ist eben keine von einem Virus allein herrührende Normative, die unseren Weg durch die Krise bestimmt. Es gibt viele Wege und das größte Problem scheint ein bevormundendes Auftreten nach dem eine Gruppe von Besserwissern den einzigen Weg gefunden zu haben glaubt. Die Aussage von „vertrauen sie den Experten“ heißt im Volksmund übersetzt, man habe zu folgen, die Klappe zu halten und nicht nachzudenken. Nicht nur, dass dies als Versuch gewertet werden kann, den Bürgern ihre Mündigkeit abzusprechen und gegen die Prinzipien der Aufklärung spricht, es ist eine zutiefst unwissenschaftliche Haltung. Noch zu Beginn der Pandemie mussten wir erleben, wie sich die Erkenntnisse von Woche zu Woche verändert haben, weil dies die wissenschaftliche Vorgehensweise des Trial-and-Error-Suchens widerspiegelt. Und dieser sukzessive Erkenntnisgewinn, bezüglich Corona, aber auch im Generellen, rührt vor allem von gegensätzlichen Ergebnissen, Unvollständigkeit der Wissenschaft und widerlegbaren Thesen her. Ohne das Herbeiführen von Widersprüchen gegen das Bestehende wären wir gar nicht in der heutigen Lage, das Virus und die Politik drumherum vernünftig einordnen zu können. Wenn also jemand einer Meinung oder Erkenntnis aus eigener Überzeugung widerspricht, dann sollte er dies tun, angehört werden und seine Belege vorlegen dürfen, ungeachtet seines vorhandenen oder nicht vorhandenen Expertenstatus.

Und im Nachhinein musste dann selbst der unverbesserliche Minister Spahn zugeben, mit dem Wissen von heute hätte man die Schulen und Kitas vermutlich nicht geschlossen. Interessant ist das deshalb, da es einen Zeitraum gab, in dem man in Journalistenrunden vor der Bundespressekonferenz sich tatsächlich eher nach der Situation der Fußball-Bundesliga erkundigte, die Öffnung der Bildungseinrichtungen aber vergebens auf der Tagesordnung suchte. Oder um es mit den Worten von Philosophin Svenja Flaßpöhler zu sagen, es war ein zeitweises Armutszeugnis für dieses Land.       

Unglücklich, ärgerlich, in jedem Falle aber problematisch war die Medienberichterstattung in diesem Zusammenhang. War Drosten und sein Podcast ein Lichtblick, wie man Wissenschaft unter die breite Öffentlichkeit bringen kann, hat das öffentlich-rechtliche Spektrum insgesamt viel zu lange dramatisiert und die Chance versäumt kritische Debatten und Berichte auf die Beine zu stellen. Statt Aufklärung ala Drosten verfiel man größtenteils in einen alten Konservatismus, der auf Panikmache statt Vernunft setzte. Es wäre die Möglichkeit gewesen, Wissenschaft einem breiteren Publikum bekannt zu machen, Vorlesungen und Vorträge von Professoren zu streamen, das Ganze Thema einmal wirklich in den Grundlagen zu behandeln, mindestens aber Kritiker und Befürworter zusammenzubringen, um spannende und entwaffnende Diskussionen zu schaffen, in denen sich auch Gegner und Andersdenkende abgebildet wiederfinden würden. All das ist nicht geschehen. Stattdessen nutzte man die Gunst der Stunde die Schlagzeilengeilen zu befriedigen und arbeitete sich lieber an Menschen ab, deren letzte Möglichkeit der Aufmerksamkeitsbeschaffung darin bestand, auf die Straße zu gehen und ihren Unmut in Demonstrationen kund zu tun.

Die im Übrigen stückweise Verlogenheit mancher Medien sah man ganz gut an zwei Entwicklungen. Erstens, am Umschwung der Berichterstattung und den Stimmen, die mittlerweile härter und kritischer mit dem politischen Kurs ins Gericht ziehen und zweitens, die nahezu unkritische Darstellung der „Black-Lives-Matter“-Demos. Versteht mich nicht falsch. Es geht nicht darum, die einen Demos als schlecht und die anderen als gut zu brandmarken. Beide haben und hatten ihre Berechtigung. Es ist nur auffallend, dass viele Medien eben genau eine solche Moralisierung ganz bewusst vorantrieben. Natürlich gibt es die Rechten, die sich bei den Querdenkern untermischen. Natürlich gibt es die Verschwörungstheoretiker und Q-Anon-Anhänger; und es gibt diejenigen, die keine Ahnung von dem ganzen Thema besitzen und wildes esoterisches Gebabbel von sich geben. Allerdings sind all diese Charakteristiken keine triftigen Gründe dafür, sich nicht mit vernünftigen, kritischen Positionen und den Problemen der Menschen auseinanderzusetzen. Und die gab es durchaus. Das hätte man der Demokratie und Aufklärung willen rechtzeitig in Angriff nehmen können, aber der ganze Circus war den Medien offensichtlich zu bunt und hat jene derart farbenblind gemacht, wonach man nur noch für schwarze Schafe empfänglich war. In der Folge präsentierte man sich lieber als moralisch überlegen, führte die Menschen ihrer Dummheit vor und stellte sie in eine Ecke. Seltsam, bei den „Black…“-Demos genügte es einen Platz voller schweigender Menschen zu zeigen. Nur einige wenige wie Karl Lauterbach äußerten diesbezüglich dann auch ihre Bedenken bei einer so großen Ansammlung von Menschen, welche in ihren eigenen Reihen ebenfalls gegen die Hygienemaßnahmen verstoßen haben. Insgesamt war der Ton in den Medien jedoch vergleichsweise leise und zurückhaltend. Es lebe die Doppelmoral.

Bevor ich hier jedoch als Anhänger und Querdenker im Sinne von „711“ gebrandmarkt werde, sei gesagt, dass ich ebenfalls harsche Kritik an der Bewegung habe. Unter anderem hat man versäumt, sich rechtzeitig von bescheuerten Kults und rechtsextremen Positionen zu distanzieren, was es zunehmend schwieriger machte als ernste Protestbewegung wahrgenommen zu werden. Zusätzlich bediente man sich rhetorisch aus der untersten Schublade der eigenen Feindbilder, indem man immer wieder die alte Leier der Lügenpresse und Diktatur herunterpredigte. Hätte man den Fokus zur Abwechslung mal auf existente, wissenschaftliche Studien und Befunde gelegt, anstatt sich von Emotionen, Verdachts- und Bauchgefühlen leiten zu lassen, wäre den Öffentlichen weniger Angriffsfläche geboten. Dass man dagegen lieber manisch an den Lippen von Kultfiguren klebte, die häufig Irreführungen und Falschbehauptungen aufstellten, ohne auch nur einmal Skepsis an der eigenen Bewegung zu äußern, ist von einer Gruppe, die sich selbst „Querdenken“ nennt, Realsatire der feinsten und unterhaltsamsten Art. Schon komisch, da misstrauen, ähm … „hinterfragen“ die alles und jeden, aber nie sich selbst. Damit steht man dann auch erfolgreich quer zum Mainstream, nur das Denken bleibt irgendwo auf der Strecke. So wird man nun auf ewig als seltsam inhomogene Schwurbler-Versammlung und Fall für den Verfassungsschutz abgestempelt bleiben. Im Nachhinein eigentlich schade, denn keine Anerkennung dafür zu ernten, dass man bereits früh berechtigte Kritik an den Maßnahmen geäußert hatte und letztlich für eine Debatte um Grundrechte eintrat, hätte durchaus einen Applaus verdient gehabt. 

Wenn wir dieser Tage dann auch von der Spaltung des Landes lesen, dann sollte man nicht vergessen, dass die Medien (soziale, alternative, wie öffentlich-rechtliche) ein oft unterschätzten Anteil an dieser Polarisierung tragen. Eine Spaltung bedeutet vor allem, eine Kluft und zwei sich gegenüberliegende Seiten. Vielleicht ist es nicht ganz so dramatisch, wie die sinnbildliche Vorstellung, aber metaphorisch betrachtet passt das Bild, dass die Mitte mehr und mehr zum luftleeren Raum verkommen ist. Annäherungsversuche und gemeinsame Diskussionen, die nicht auf die Verwendung von diffamierenden Kampfbegriffen hinauslaufen sollten, gab es dieses Jahr einfach zu wenige. In dieser Hinsicht ist die Spaltung und der Riss durch die Gesellschaft in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Einerseits zeichnet sich die fehlende Mitte als Debattenraum aus und andererseits in einer gedanklichen Position, nach der man beiderseits Schritte von der eigenen Extremposition aus gen Kontraposition unternimmt.     

Klar gibt es dabei Grenzen, aber die Spaltung des Landes ist nicht immer an der Linie einer rechtsradikal, verschwörerischen Gegenhaltung zu markieren, sondern auch ganz simpel, eine andere Meinung, die nur nicht gerne gehört wird, weil sie von der eigenen abweicht. Die häufigste Floskel, die ich wohl in der Corona-Krise hören musste,  „wir haben verlernt einander zuzuhören“, ist in vielen Teilen wahr. Man könnte aber noch hinzufügen, wir haben verlernt miteinander zu reden und in öffentlichen Räumen als Vorbildfunktionen für kommunikatives Miteinander zu agieren. Und mit „wir“ meine ich nahezu alle. Allerdings war dies schon vor der Krise eine Tendenz, die sich bereits lange abgezeichnet hat und wo das Corona-Brennglas letztlich intensiv drüber gehalten wird. Die Filter-Bubble, bekannt als Phänomen aus sozialen Medien und Synonym für eine selbstverschuldete Abschottung, hat sich nun auch im Raum manifestiert und erhält nun zusätzliche Unterstützung durch die räumliche Auftrennung der physischen Welt, so dass es die echten Wände sind, die zwischen den Menschen verlaufen. Die gegenwärtige Angst vor der Ansteckung ist dahingehend nicht allein eine im biologischen Sinne geartete, sondern darüber hinaus wohl auch eine psychologische, die andere Meinung könne einen gar penetrieren und infizieren.

Kontraindikative Gesundheitspolitik und Virokratie 

Vielleicht kennt der ein oder andere die sogenannten Kaspar-Hauser Versuche, in denen das Verhalten von Lebewesen untersucht wird, indem man ihnen gewisse Erfahrungsmöglichkeiten vorenthält. Derartige Experimente, die man an Rhesusaffen durchgeführt hat und der Legende nach auch an Säuglingen, gelten als ethisch kaum vertretbar, bzw. inhuman. Was passiert beispielsweise, wenn Kinder ohne Sprache aufgezogen werden, oder sie ohne Eltern aufwachsen ? Frühgeborene sollen dahingehend ohne die Bindung zu ihrer Mutter und jeglichen zwischenmenschlichen Kontakt angeblich nicht überlebensfähig sein. Die Bestrebung dies in Realversuchen zu untersuchen, will auch niemand aus guten Gründen weiter verfolgen. Es reicht, dass bereits eine Erkenntnis da ist, inwieweit menschliche Kontakte und insbesondere das Urvertrauen zur Mutter entscheidend für die Entwicklung von Kindern sind. Die künstliche Isolation, derer wir nun seit längerer Zeit ausgesetzt werden, die uns von Angehörigen und Freunden fernhält, gleicht einem solchen Experiment. Sicher, darin steckt eine gewisse Polemik meinerseits, die ich im Traum nicht leugnen möchte. Man kann aber ebenso nicht leugnen, dass der gegenseitig entfremdende Dauerzustand schwere psychische und soziale Folgen nach sich ziehen kann, deren Wirkung wir vielleicht erst noch zu spüren bekommen werden. Wie problematisch die Situation mitunter jetzt schon ist, dazu erschienen bereits (bzw. endlich) erste Studien, die die Ausmaße dieser inhumanen Politik einfangen und abbilden.   

Gewiss, der erste Lockdown im März kann noch als möglicherweise überlange Vorsichtsmaßnahme betrachtet werden, in der die akute Notlage behandelt werden musste. Ich selbst habe mich damals wohlwollend geäußert, unter der Prämisse, dass man die Entwicklung der Pandemie und die Erforschung des Virus abwarten müsse, um bei Zeit einen angemessenen Umgang damit zu finden. Und hier trennen sich dann möglicherweise die Meinungen, wie die Spreu vom Weizen. Anders als von offizieller Seite verkündigt, habe ich nicht das Gefühl, man hätte aus der eigens herbeigeführten Situation irgendetwas gelernt, was einen einklangvollen Mittelweg zwischen Virus-Bekämpfung und Lebensalltag begünstigt. Entgegen der Meinung von Experten(!) hat man weitere harte Lockdown-Maßnahmen beschlossen, die insbesondere anhand der Gesamtzahl der gemeldeten Fälle festgemacht wird. Wohlgemerkt, gemeldete Fälle! Dass von Tausenden die meisten symptomlos sind oder gut überstanden werden, spielt hier offensichtlich keine Rolle. Sicher, jeder einzelne Todesfall aufgrund von COVID-19 ist tragisch und das Virus ist nicht ungefährlich für einen gewissen Teil der Bevölkerung, nämlich für die Risikogruppe, welche sich aus Alten und Vorerkrankten zusammensetzt; meist bedingt das eine das andere. Daraus jedoch eine allgemeine Norm für das gesellschaftliche Leben aller abzuleiten, ist ein naturalistischer Fehlschluss, der seinesgleichen sucht und wo meines Erachtens die Politik weitgehend versagt. Die Bedrohung durch einen neuen Erreger und die in der Folge beschlossenen Maßnahmen sind zwei paar verschiedene Schuhe und stehen erst recht nicht in einer Kausalbeziehung. Die Entscheidungen müssen stets einer Legitimation unterzogen werden und transparent sein. Immer wieder geht es nämlich um die Frage, welche Maßnahmen sind als verhältnismäßige Mittel zu betrachten, um diesem Virus etwas entgegenzusetzen? Dies ist ganz simpel die Frage, wenn sich der Staat die Freiheit herausnimmt, Grundrechte einzuschränken. Und diese Restriktionen wollen gut begründet werden, da sie erhebliche Freiheitseinbußen mit sich ziehen. Dem entgegen sehen wir uns im Alltag mit Regelungen konfrontiert, die teils jeglicher Logik widersprechen und wo wir uns fragen, regieren hier die Politiker, oder doch Willkür, Angst und Ahnungslosigkeit ?

Der Neurowissenschaftler und Hirnforscher Manfred Spitzer veröffentlichte zuletzt ein Buch, welches Einsamkeit als eine der gefährlichsten Krankheiten unserer Zivilgesellschaft kennzeichnet. Menschen, die sich einsam fühlen, denen die Nähe zu geliebten Personen chronisch fehlt, sind demnach zumeist stark vulnerabel. Ihr Immunsystem leidet unter permanenter Belastung von Stress und Bluthochdruck, was in Kombination mit anderen Vorbelastungen zur Todesursache emporsteigen kann. Zwar muss hier ausdrücklich erwähnt werden, dass soziale Isolation und Einsamkeit nicht ein und dasselbe sind, allerdings ist nahezu unbestreitbar, dass die einschränkenden Maßnahmen die potenzielle Vereinsamung und Distanzierung geradezu befeuern. Man denke hier bitte an Senioren in Pflegeheimen, die keinen Besuch mehr empfangen durften. Ausgerechnet diejenige Gruppe, die ohnehin schon pathologisch zur Risikogruppe zählt, lastet man nun zusätzlichen Stress auf. Das Heim, in dem meine Oma zuletzt während der Pandemie verstorben ist (weder an, noch mit Corona), verbiete es sich doch bitte, dass die Senioren Waldspaziergänge unternehmen, weder in Begleitung, noch alleine. Die Gefahr sei schließlich zu groß. Wie in einem Gefängnis mussten die Bewohner daher abgeschottet von der Außenwelt ihre Runden auf einem kleinen Innenhof drehen.

Die Gesundheitswissenschaft der letzten Jahre hat eine überschwängliche Menge an Arbeiten zu Sozialisationskrankheiten publiziert. Die Befunde, egal ob aus Bereichen der Neurowissenschaften, Sportwissenschaft oder Public-Health, vermitteln stets einen Konsens, der dahingehend ein Mindestmaß an täglicher, körperlicher Aktivität empfiehlt; unabhängig vom Alter und Geschlecht. Übrigens empfiehlt die WHO selbst dieses Mindestmaß an Bewegung ! Sind die nicht eigentlich ein dieser Experteninstitutionen, auf die man in der Pandemie hören sollte ? Was machen unsere lieben Politiker ? Sportstätten, Hallen, Bäder und Fitnessstudios werden geschlossen und man empfiehlt möglichst Zuhause zu bleiben. Ich frage mich, wo blieb die Aufklärung der Sportmediziner ? Wo blieb der Apell, der ein Höchstmaß an körperlicher Aktivität empfahl und die Benefits des Sports ausrief ? Gerade jetzt wäre die Zeit für eine bundesweite Kampagne dringender denn je gewesen. (Vielleicht so etwas wie „Trimm-dich-und-Corona-fickt-sich…“) Eine Welle der Selbstwirksamkeit hätte durch das Land gehen müssen, um das Immunsystem zu stählern. Aber biopsychosoziale Gesundheit scheint offensichtlich ein Fremdwort zu sein. Die oberste Dreistigkeit, die dem eindimensionalen Gesundheitsbegriff jedoch die Krone aufsetzte, bildete obendrein ein Werbespot, der propagierte, die wahren Helden seien heute Akteure, die nichts tun - also Inaktive. Diejenigen, die es sich leisten können auf dem Sofa zu sitzen und ununterbrochen Medien zu konsumieren. Es sei denn man zählt zu den systemrelevanten Berufen - dann bitte schön weiterarbeiten. Und es sei denn man studiert - dann bitteschön weiterstudieren. Das ist das Kleingedruckte, welches im Spot gern unterschlagen wird. Ein anderer Spot, ebenfalls von der Regierung in Auftrag gegeben, richtete sich speziell an die Gamer, die Videospieler. Eigentlich will ich dieses Stück unsäglicher Heuchlerei gar nicht beschreiben, weil es mir ehrlich gesagt zu blöde ist. Aber wie unsagbar verlogen kann man nur sein ? Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hat man sich von Regierungsseite quergestellt gegen nahezu alles, was diese Szene im Herzen auszeichnete. Nicht nur, dass die Politik generell wenig bekannt dafür ist, Interesse gegenüber Gamern zu offenbaren - es sei denn man kann die Gunst der Stunde nutzen und zu Gamescom-Zeiten Wahlwerbung machen oder Wirtschaft und Technologien ankurbeln - nein, man wird nicht müde, die immer selben Klischees zu reproduzieren und noch schlimmer, diese nun im Kern ernsthaften und teils schwerfälligen Probleme wie Weltenflucht, soziale Isolation, Sucht und ungesunde Ernährung, ins komplette Gegenteil zu verkehren, dass man durch ein solches Verhalten nun Menschenleben retten könne. Je mehr ich mir über diese Videos Gedanken gemacht habe, desto eher bin ich zur Erkenntnis gelangt, man müsse jeden, der sich da verantwortlich zeichnet, in eine Reihe stellen, teeren, federn und die Scheiße aus ihnen rausprügeln! […] ok, sorry, vielleicht etwas übertrieben, aber wer beleidigt ist har in diesem Fall recht.

In einem früheren Blog-Artikel habe ich bereits über die Leiden im Studium - von meiner Seite – geschrieben. Bereits vor der Pandemie sah es da alles andere als rosig aus, weil die Gesamtanforderungen einen täglich an die Belastungsgrenze treiben. Arbeiten unter der Woche, an beiden Wochenendtagen und wöchentliche Abgaben mit scharfen Fristen, die zusätzlichen Leistungsdruck abverlangen. Die wenigen Lichtblicke, die notwendig waren sich vom Stress zu befreien und ihn zu kompensieren, die darin bestanden, sich mit Freunden auszutauschen, gemeinsam zu essen und noch nicht einmal das Feiern beinhalten, sind weggebrochen und werden jetzt als unverantwortlich angesehen. Ergänzend wird man weiter um seinen Job beraubt, der zur wesentlichen Existenz beiträgt. Laut dem medialen Müll der Bundesregierung sind es insbesondere die jungen Studenten, die es sich angeblich leisten können, ein Chillout-Leben in der heimischen „Wohnung“ führen zu können, weil Studieren offensichtlich nicht gleich Arbeiten ist. Bullshit. „Wohnung“ sei hier übrigens in Anführungszeichen geführt, da viele Studenten immer noch in überteuerten zwölf-Quadratmeter-Zimmern leben. Und wie finanziert man sich die ? Entweder durch reiche Eltern oder durch stupide, schlecht bezahlte Nebenjobs. Geld als Schadensersatz gibt es dafür nur unzureichend und nur für die, die gerade kurz vorm Kollaps stehen. Überhaupt, was will ich mit einer kurzen Finanzspritze? Ich möchte soziale Kontakte. Ich will Menschen treffen und sie umarmen dürfen. Wird das von der Bundesregierung auch durch Zusatzleistungen kompensiert ? Wie lautet es da nochmal im Werbespot ? All das benötigt man nicht, denn die wahren Helden sind zuhause geblieben und der Fernseher ist dein wichtigster Freund. Embrace the new normal.

In einem Podcast von Serdar Somuncu und Florian Schröder habe ich zum aller ersten Mal eine ehrliche, pointierte Bemerkung zu möglichen Langzeitfolgen des Lockdowns, bzw. der Hygienemaßnahmen aufgeschnappt. Eine der schlimmsten Befürchtungen, die im Hinblick auf die Pandemie unserer Gesellschaft angetan werden kann, ist ein dauerhafter Umschwung in unseren Gewohnheiten. Und hier beziehe ich mich auf Gewohnheiten als Verhaltensweisen, die uns derweil kontinuierlich vermittelt werden. „Halte Abstand. Komme mir nicht zu nahe. Trage deine Maske. Halte dich an die Regeln. Die Gefahr ist omnipräsent.“ Wie schlimm diese ständige Paranoia ist, beschreiben die beiden Podcaster stellvertretend für all jene, die ähnliche Erfahrungen gesammelt haben; eine unterschwellige Stimmungslage in der BRD. Eine Atmosphäre, in der Menschen bösartige Blicke an jene verteilen, die sich draußen dem Tragen einer Maske verweigern oder sich zu nahe kommen. Es ist beängstigend, wie innerhalb weniger Monate die Akzeptanz gegenüber den Grundgesetz einschränkenden Maßnahmen, zu angeblich allgemeinem Konsens geworden ist. Weil es da diese eine Gefahr gibt, die vermeintlich nichts anderes zulasse. Gleichsam ermutigt man die Bürger, dass es in Ordnung sei, sich gegenseitig zu Denunzieren und anonym Leute anzuzeigen, die gegen die geltenden Maßnahmen verstoßen. Die Stadt Essen hatte hier extra eine Webseite mit Formular zur Verfügung gestellt. Man stelle sich nur vor, jeder der in Zukunft bei Rot über eine Ampel geht oder auf der Autobahn zu schnell fährt, würde unmittelbar von seinen Mitmenschen angezeigt werden. Ich möchte eigentlich keine billige Rhetorik in diesem Zusammenhang verwenden, aber wer hier zumindest nicht ansatzweise Parallelen in Richtung der DDR ziehen möchte, der sollte vielleicht wirklich mal ein Buch in die Hand nehmen.

Und wenn wir schon dabei sind. Wie sieht denn die nahe Zukunft aus ? Wenn diese Gefahr so schlimm ist, wie sie uns derzeit präsentiert wird, werden dann bald die Immunitätsausweise kommen ? Eine Impflicht, die soll es für die Bevölkerung nicht geben, laut Regierung. Aber das Arbeiten in gewissen Berufen, die die menschliche Nähe auszeichnet und nahezu alle Aktivitäten, welche derweil unter Vorbehalt potenzieller Infektionsübertragung gestrichen wurden, könnten gefüttert von Angst oder gar durch gesetzliche Vorschrift, bald nur noch einen exklusiven Zugang für diejenigen bereithalten, die sich impfen lassen, bzw. negativ getestet werden. Und dies ist keine Spekulation oder hypothetische Debatte, sondern Gegenwartsthematik und ein Zukunftsszenario, das uns entgegenläuft – Tenet lässt grüßen. 

Dass es andere Wege gab und gibt, dem Virus entgegenzutreten, stellte Bürgermeister Boris Palmer unter Beweis. Für Tübingen legte er ein strategischeres Kalkül als die gefürchtete Lockdownpolitik an den Tag, welches man unter Schutz der Risikogruppe subsumieren könnte. Auf Kosten der Stadt besorgte man unter anderem zahlreiche Schnelltests und rollte diese in Windeseile über die Alten- und Pflegeheime aus, um die Gefahrenlage in der Fläche zu detektieren. Gleichzeitig sorgte man für weitere pointiere Vorsichtsmaßnahmen, wie eine Art Shuttleservice, bei dem sich ältere Menschen vergünstigt ein Taxi anstatt einem Busticket leisten konnten. Die Folge davon, die Risikogruppe sah sich nicht dem Zwang ausgesetzt neben anderen Bazillenschleudern in überfüllten Bussen Platz nehmen zu müssen und konnte sich geschützt und bequem kutschieren lassen. Ein weiterer positiver Effekt : Taxifahrer, denen aufgrund der eingeschränkten Event- und Tourismusbranche die Kundschaft zunächst wegbrach, hatten nun wieder Aufträge, sich über Wasser halten zu können.

Palmer wird den ein oder anderen möglicherweise noch vage im Gedächtnis geblieben sein für seine scharfe Aussage, man rette durch die Maßnahmen wahrscheinlich Menschen, die sowieso bald sterben würden. Natürlich riss man diesen Satz wie so oft völlig aus dem Kontext, wodurch er prompt einen ordentlichen Shitstorm für seine ach so herzlose Art kassierte. Dabei war sein wesentlicher Gedanke alles andere als inhuman. Im Gegensatz zu den hoch emotionalisierten und politisch korrekten Aussagen anderer Politiker, betonte er lediglich, man müsse einen Risiko-differenzierten Weg finden, der eben nicht die Gesundheit und das Leben eines Einzelnen über alles andere stellte. Stattdessen benötigten Menschen eines höheren Risikos eben auch einen höheren Schutz. In gewisser Weise war seine Argumentation sogar „gesünder“ im Vergleich mit der offiziell gefahrenen Strategie, da er Nebenwirkungen und Schäden der Shutdownpolitik sorgfältig einkalkulierte und abwog. Besserwisser und Panikmacher Lauterbach schüttelte bei Lanz dagegen nur den Kopf und entgegnete, man könne die Risikogruppe doch nicht isolieren. Verfolgt man die Twitter-Laufbahn des SPD-Mannes, dann liegt dessen Idealvorstellung bezüglich pandemiegetriebener Gesundheitspolitik wohl eben darin, möglichst alle Zuhause einzusperren. Als Palmers kommunalpolitischer Plan Ende dieses Jahres wundersame Früchte trug, ruderte man schließlich nochmal zurück und ließ ihn in einer Talkshow abermals zu Wort kommen. Denn, die Infektions- und Todesrate in Tübingen war zuletzt stark zurückgegangen und wies eine vorbildliche Bilanz auf. Für ein bundesweites Umdenken kam das jedoch zu spät. Aber vielleicht hätte man ja schon früher den Tübinger Weg ernst nehmen sollen, anstatt Herrn Palmer auszubuhen. Dafür hat uns die Kanzlerin immerhin nochmal erste Nachhilfe in Mathematik gegeben und zu Weihnachten ganz emotional an unsere Verantwortung appelliert.   

Abschließend kann ich noch anmerken, wer von sich aus wollte und wem es gelang jegliche Ängste um finanzielle und gesundheitliche Sicherheit beiseite zu schieben, hatte dieses Jahr die Möglichkeit Selbstverwirklichungsarbeit zu leisten, seinen Besinnungsaufsatz zu schreiben, sich im Umgang mit einem Musikinstrument zu schulen, sich weiterzubilden und das Home-office lieben oder hassen zu lernen. Überhaupt, das Lernen am Ereignis Corona kann groß geschrieben werden. Möchte man dem Jahr der Pandemie etwas zugutehalten, dann, dass es ein aberwitziges, sich selbstschreibendes Buch gefüllt hat, an dem sich Wissenschaftler und Persönlichkeiten sämtlicher Couleur in noch viel mehr Büchern, Bänden und Dissertationen abarbeiten können und werden. Meine Befürchtung ist allerdings, dieser Erkenntnisgewinn wird wie so oft für einzelne gelten, die es sich leisten können, aber benötigen würde es einmal die Gesellschaft als Ganzes. Corona war in keiner Weise fair zu uns. Es kam und schnappte sich die ohnehin Schwachen und trennte zwischen Krisengewinnern und -verlierern. Was wäre also wünschenswerter, als dass die Lehren aus diesem Jahr nicht nur implizites Gut für das eigene Selbstwohl blieben, sondern in Taten Umsetzung fänden, die der Allgemeinheit der Verlierer dienten. Am besten sofort. In diesem Sinne, ich wünsche euch kein frohes neues Jahr, sondern fordere ganz ungeniert : Lasst uns am Vergangenen lernen!  

 

Montag, 28. September 2020

Warum mir der Genderstern schon jetzt auf die Eier*stöcke geht !

 Zu Beginn möchte ich eine Sache klarstellen. Wenn ich im Folgenden den Genderstern gebrauche, dann tue ich dies aus Gründen der beispielhaften Veranschaulichung, nicht aus Wertschätzung heraus.  

Eigentlich verspüre ich wenig Lust über dieses Thema weiter zu schreiben. Bereits mehrmals habe ich zuvor über die Problematik des exzessiven Genderns versucht meinen Unmut kund zu tun und über die PC herzuziehen. Erst vor kurzem hatte ich mein Statement klar gemacht und wollte das Thema ruhen lassen. Doch in den letzten Tagen und Wochen konnte ich die unkontrollierbaren Ausmaße immer deutlicher zu spüren bekommen, weshalb es definitiv einen weiteren Kommentar dazu braucht. Egal ob Podcasts, Internetseiten, Radio, YouTube-Videos, Anzeigetafeln oder Software, überall lächelt mir der zweiteilende Spaltenstern ins Gesicht. Dazu beigetragen hat womöglich insbesondere die Aufnahme des Gendersterns in die jüngste Ausgabe des Dudens. Dieser Veröffentlichung nach wird nun der Genderstern im Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren aufgeführt und empfohlen. Im Allgemeinen ist das zwar noch keine grammatikalisch anerkannte Form, aber wer sich unbedingt dazu berufen fühlt, seiner schmutzigen, misogynen, altertümlichen Ausdrucksweise einen neuen, sauberen Glanz zu verleihen, der hat hier nun sein Reinigungsmittel gefunden. Die Frage ist nur, ihr lieben Korrekten und Gerechten, habt ihr auch alle Problematiken und Konsequenzen in Betracht gezogen ? Warum ich mit Gewissheit den Genderstern weder in verbaler, noch in schriftlicher Form nutzen werde und weiterhin die Verwendung des generischen Maskulinums vorziehe, möchte ich hier an 7 Punkten verdeutlichen.     


1. Das Geschlecht wird zur entscheidenden Kategorie - andere Minderheiten werden symbolisch ausgeschlossen

Das generische Maskulinum lässt uns nur an Männer denken. Wir leben in einer Männergesellschaft. Mehr Gleichberechtigung für Frauen ! Dies soll sich auch in der Sprache ausdrücken. Das ist oft die Forderung, derer sich Vertreter der feministischen Linguistik und der PC gerne annehmen. Dass diese Thesen nie bewiesen wurden und eher Glaubensfragen darstellen, sei hier nur am Rande erwähnt. Darüber ließe sich streiten. Der naturalistische Fehlschluss, oder je nach Ansicht auch infame Kunstgriff, besteht jedoch darin, dem Deutschen eine inhärente, männerdomminierende Bösartigkeit zu unterstellen, weshalb es einem Andersformulieren bedarf, um diskriminierendes Denken zu beseitigen. Also propagiert man gerne, es gäbe eine eins zu eins Beziehung zwischen Sprache und Denken. 

Kleines Experiment dazu. Nehmt euch zehn Sekunden Zeit und denkt an einen Baum. 

Zu Ende gedacht ? Gut. Nun beantwortet die folgenden Fragen für euch. Ist der Baum ein realer oder gezeichneter ? Ist der Baum neben anderen Bäumen oder allein in der Vorstellung ? Ist es ein konkreter Baum wie Buche oder Eiche, oder ist er abstrakt ? In welcher Jahreszeit befindet sich der Baum ? Trägt er dabei Blätter und Früchte ?

So, wie wahrscheinlich ist nun die Tatsache, dass wir alle das gleiche imaginäre Bild eines Baumes erdacht haben ? Diese Frage ist natürlich rhetorisch. Begriffe wie Baum, Lehrer oder Schüler sind zunächst abstrakt, weshalb sich unter kontextlosen Bedingungen unterschiedlichste Vorstellungen darunter entfalten können. Dies ist keineswegs ein Nachteil, es ist eine stärke von Sprache, da sie das abstrakte Denken erst ermöglicht. Würde ich die Aufgabe so formulieren : Denkt an einen Laubbaum. Dann schließe ich damit automatisch Nadelbäume aus. Ich enge also durch das spezifischere Formulieren den Raum des Denkens ein. Dies kann unter Umständen auch gut und gewollt sein, aber im Falle der permanenten Verwendung des Gendersterns heben wir Sprache sofort auf die Geschlechterebene.  

Eine Problematik, die zudem alle Formen des Genderns betrifft. Denn der Sinn des Genderns besteht schließlich darin, das Geschlecht explizit sichtbar zu machen und anzusprechen. Das transportiert allerdings die Botschaft, es käme besonders auf das Geschlecht an und man müsse hier eine zuvor nicht angesprochene Gruppe jetzt in den Vordergrund stellen. Wie gesagt, unter Umständen, und wo es sinnvoll erscheint, spricht nichts gegen den Einsatz der -beispielsweise- Paarnennung. Doch was ist dann mit den "echten" benachteiligten Minderheitengruppen ? Was passiert mit Schwulen, Lesben, Transsexuellen, Schwarzen, Juden, Muslimen, Behinderten usw. ? Warum unterscheiden wir sprachlich plötzlich nur noch in der Kategorie des sexuellen Geschlechtes ? Warum zeigt mir Spotify Künstler*innen an, wobei genauso gut andere Minderheitengruppen zu Künstlern zählen ? Als drehe sich alles nur um Eier*stöcke. Die Unsichtbarkeit, die das generische Maskulinum nach wie vor leistet, hat dagegen den großen Vorteil, dass es alle Kategorien ausblendet und paradoxerweise somit alle Kategorien inkludiert. 


2. Der Genderstern fügt sich nicht in das Deutsche Grammatiksystem

Ein Punkt, den man schnell an einem Beispiel abhaken kann. Versucht folgenden Satz mit Hilfe des Gendersterns zu gendern :

Die Berufe des Anwalts und des Arztes sind beide sehr erstrebenswert.


3. Der Genderstern ist unästhetisch und hemmt den Lesefluss

Gut, das mag sicher subjektiv sein, aber auch hier kann ein einfacher Text am besten dazu dienen, die Empfindung dieser Problematik zu verdeutlichen.

Die meisten Lehrer*innen sind Expert*innen im Umgang mit Schüler*innen. Sie agieren vielfältig als Wissensvermittler*innen, Ansprechpartner*innen, Pädagog*innen, Betreuer*innen, sowie Unterstützer*innen und Erzieher*innen. Reine Didakt*innen dagegen ...   


4. Der Genderstern ist sexistisch

Sogar die Begründerin der feministischen Linguistik Luise Pusch lehnt den Genderstern ab, da die weibliche Benennung in Form des Suffix "innen" nur ein Anhängsel an die männliche Stammform symbolisiert. Frauen werden demnach zwar erkenntlich, aber nur angehängt. Wenn also von Lehrer*innen die Rede ist, dann steht an erster Stelle immer noch das generische Maskulinum, welches nun "nur" erweitert wird. Eine ähnliche unlösbare Situation entsteht bei der Nennung der Doppelform. Lieber "Lehrerinnen und Lehrer" oder doch "Lehrer und Lehrerinnen" schreiben ? Beide Schreibweisen benachteiligen eine der beiden Gruppen, da irgendjemand stets der Zweitgenannte bleibt. 

Als ich meinen ersten Abschluss an der Universität zu Ende brachte, erhielt ich ein standardisiertes Schreiben des obersten Rektors, in dem man mir einige letzte Glückwünsche mitteilte. Die Anrede lautete "Liebe Absolventin, lieber Absolvent...". Nun hätte man mich aufgrund meines Namens auch direkt als Absolventen ansprechen können - schließlich gibt es kein Grund bei bekanntem Geschlecht die Anrede für beide Seiten zu formulieren; was mich allerdings viel mehr störte ist die Tatsache, dass man mich damit als einen explizit männlichen Absolventen darstellen möchte. Als wäre das ein erwähnenswertes Kriterium, wonach bei der Verteilung von Glückwünschen zu differenzieren wäre. Dass man auf diese Art geschlechterdifferenziertes Denken eher unterstützt als abbaut - gut, das mögen die Verfasser eines Tages selbst herausfinden. Im Falle des Genderstars ist die Wirkung ähnlich, da ,wie zuvor schon in Punkt 1 erläutert, das Geschlecht die im Vordergrund stehende Kategorie bildet. Unter der Prämisse "Nennen Sie die zehn bekanntesten Politiker*innen Deutschlands", wird sich derweil mit hoher Zuversicht Angela Merkel befinden. Hierbei wird durch das Genderwort sofort darauf verwiesen, dass es sich bei Angela Merkel um eine Politikerin (!) handelt. Als interessiere sich der Mob heutzutage eher für das Geschlecht des Bundeskanzlers als dessen Politik.        


5. Der Genderstern moralisiert die Sprache und bildet Nährboden für die Cancel Culture

Seht her, wir gendern. Wir denken auch an euch Frauen ! Denn an euch Frauen muss schließlich extra gedacht werden. Das Narrativ wird in Zukunft lauten, wer gendert, der setzt sich für Frauen ein, der ist für Gleichberechtigung, der ist progressiv, der ist korrekt ! Und was ist mit den Andersdenkenden ? Wer sich dieser Sprache nicht bedienen will ? Wer sich weigert ? Ist der- oder diejenige dann ein Abweichler ? Darf man sich mit so jemandem noch unterhalten ? Darf man Bücher noch lesen, die nicht gegendert sind ? Werden Arbeiten schlechter bewertet oder zurückgewiesen ? Die Antwort lautet in Teilen schon "ja". Ich möchte es nicht prophezeien, aber die Anzeichen sind schon erkennbar, dass es eine überstarke Moralisierung in Diskursen gibt, die zum Anlass für Ausladungen und Zensur herhält. Der Genderstar diktiert dahingehend die Ausübung des moralisch korrekten Formulierens. Denn wer nicht für Gleichberechtigung ist, der ist schließlich dagegen. Und was heute noch ein "kann" und eine Richtlinie heißt, das ist morgen schon ein "muss" und eine Verpflichtung. Egal ist, was jemand wirklich im Sinn hatte als er das generische Maskulinum verwendete. Das entscheidende ist, dass er nicht gegendert hat.


6. Der Genderstern folgt keiner natürlichen Sprachentwicklung

Sprache entwickelt sich ständig weiter. Dem Satz kann man wirklich bedenkenlos zustimmen. Bedenken sollte man dagegen Sprachentwicklungen, die nicht auf natürliche Weise, sprich der alltäglichen Interaktion in der Gesellschaft und demokratischen Kommunikation zwischen Individuen erfolgen. Sprache reagiert nämlich auf reale Gegebenheiten und ihr Gebrauch ist keinem Zwang unterworfen. Das Jugendwort "Smombie" , welches einer Neuschöpfung aus den Wörtern "Smartphone" und "Zombie" entspringt, ist ein Beispiel für solch eine natürliche Entwicklung. Individuen greifen die Beobachtung eines nicht-Wortes (das Phänomen, dass Menschen vergleichbar Zombies umherwandeln und dabei auf ihr Smartphone starren) auf und abstrahieren den beobachteten Gegenstand in einem Neologismus. Der Genderstar hingegen ist ein Kreationismus, der der feministischen Sprachtheorie entspringt und zu einem speziellen Zweck konzipiert wurde : Den Leser und Hörer immer und immer wieder mahnend daran zu erinnern, dass auch Frauen in der Gesellschaft leben und diese gefälligst gleichberechtigt sind. Denn es reicht nicht einfach einem Menschen einen Gedanken mitzuteilen. Er soll diesen Gedanken verinnerlichen. Er soll erzogen und konditioniert werden. Ganz wie in der Bahn, wenn uns der liebe Herr Kretschmann alle paar Minuten über eine Durchsage mitteilt, wie richtig und wichtig es doch ist, Masken zu tragen und Abstand zu halten. Danke, großer Bruder !         


7. Das Spiel mit der Sprache leidet

Im Gegensatz zum Genderstern kann das generische Maskulinum aufgrund seiner semantischen Vielfalt wesentlich variantenreicher verwendet werden. Einige Beispiele : 

Die Schweiz ist ein guter Gastgeber.

Niemand konnte den Mörder erkennen, er entkam in letzter Sekunde.

Sarah und Nicole waren die letzten Tänzer auf der Bühne. 

Dreißig Prozent aller Politiker sind Frauen.

An diesem Abend waren dreizehn weibliche Gäste und vier männliche anwesend. 

Übung macht den Meister.

Die Polizei, mein Freund und Helfer.

Jeder sollte sich angesprochen fühlen.

Er ist eine Person von Rang und Namen.

In all diesen Sätzen kommt das generische Maskulinum zum tragen und erweist sich dabei wesentlich wandelbarer und vielfältiger als die Genderform. Was bei der Verwendung des Gendersternchens und der Verteufelung des generischen Maskulinums oft außer Acht gelassen wird, ist der Kontext, an den sich letzteres offensichtlich sehr viel besser anpassen kann. Es ist daher kein Wunder, dass die generische Form für das Schreiben und Formulieren bevorzugt wird. Sicher birgt das generische Maskulinum ob seiner Ambiguität auch das Potenzial missverstanden zu werden. Aber auch das gehört zur Sprache und läuft für mich unter Sprachvielfalt, ebenso wie das Spiel mit der Sprache. Schlimmer dabei ist nur, dass diese Uneindeutigkeit versucht wird, in eine Richtung zu deuten. (Siehe Punkt 5). Habt ihr etwa bei einem Baum nur an eine Pflanze gedacht ? Schämt euch ! Es gibt auch Stammbäume und Bäume als Datenstrukturen...         

Und vielleicht habt ihr es gemerkt, ich habe ein bisschen geschwindelt. Im letzten Beispiel oben kommt gar kein g.M. vor, sondern das generische Femininum. "Die Person" besitzt nämlich das weibliche Genus. Das wirft doch glatt die Frage auf, ob wir konsequenterweise nicht auch diese Formen gendern sollten ? Schließlich könnten Männer dadurch benachteiligt werden. Wenn wir also wirkliche Geschlechtergerechtigkeit fordern und fördern, dann müssen wir auch das generische Femininum neutralisieren. Wie wäre es dann vielleicht mit Person*er ?   


Mittwoch, 2. September 2020

TENET - Oder was Kino bedeutet

 

In besonders vielen Kritiken kommt TENET nicht wirklich gut weg. Und überall ließt und hört man immer wieder dieselben peniblen Stimmen. Der Film täuscht eine komplexe Erzählung lediglich vor, er ist unnötig zerstückelt, führt den Zuschauer an der Nase herum, strotzt vor internen Logiklöchern und erzeugt keine Emotionalität, da die Charaktere flach und unausgegoren sind. Würde man Christopher Nolan Böses wollen, könnte man TENET als überambitionierte, viel zu laute, aber dennoch handwerklich gut gemachte Bond-Kopie mit nichtlinearem Geschichtsverlauf abstempeln. Und tatsächlich muss man konstatieren, dass der wesentliche Plot des Films sich im Wesentlichen um einen namenlosen Geheimagenten und einen klischeehaften Russenbösewicht dreht, und das zirka zweieinhalb Stunden lang. Warum sollte man sich also den Film überhaupt ansehen ? Noch dazu im Kino, wo bereits in Anbetracht der Causa Corona reflexhaft vor Infektionsgefahr gemahnt wird ? Zu letzterem möchte ich ganz kurz sagen, dass es zwar grundsätzlich jedem selbst obliegt, inwieweit er sich einem erhöhten Infektionsrisiko aussetzt, ich zumindest diese Gefahr jedoch für nahezu unbegründet und hysterisch halte, da die allermeisten Kinos bestens mit Hygienekonzepten und Belüftungsanlagen ausgestattet sind. Nach sechs Monaten Deprivation an Kulturkonsum wäre ich vermutlich eher gestorben, hätte ich TENET nicht im Kino genießen dürfen. Zumal es der Kinolandschaft längst nach Zuschauerdrang dürstet und mit TENET einer der ersten Blockbuster aufgefahren wird, welcher ersehnte Lichtblicke für die Branche bedeutet. (Auch unsere Kultur benötigt Solidarität !)

Hinzukommt, dass ich mir zwar selbst nie den Titel eines Nolan Fanboys einreden würde, ich aber fast alle seine Filme gesehen und zu schätzen gelernt habe. Unter anderem deshalb, weil es wenig qualitativ Vergleichbares auf diesem Terrain gibt. Die typischen Marvel-Blockbuster beispielsweise sind gegen Nolans Werke ja eher Ware von der Stange. Ein „Inception“ oder „The Dark Knight“ schaut man sich dagegen auch nach zehn Jahren gerne zum x-ten Mal an. Kein Wunder also, dass ich ein wenig gehypt war die Durststrecke der letzten Monate endlich beenden zu können. Also brav Maske auf, Ticket gekauft und leidvoll die 30 Minuten Vorschau ertragen, die mich - den Bond-Trailer ausgenommen – suggestiv daran erinnern, warum ich mir ausgerechnet einen Streifen von Nolan anschaue und nicht den nächsten von Til Schweiger. Dann beginnt der Film ? können sein hätte was, wir unternehmen, ist Frage Die .bedeutet viel Kino das für die ,Zeit besonderen einer zu Film besonderer ein ist TENET ,mich für steht Fest .überdrüssig sowieso Frage dieser bin Ich .beurteilen zu nicht ich vermag das ,haben tun zu Meisterwerk einem mit Stelle dieser an es wir ob ,Frage leidige Die

Ich habe zum ersten Mal nach langer Zeit wieder das Gefühl Kino wirklich zu erleben. Ich brauche keine 20 Minuten Pipipause, ich bin voll drin. Das Ende fühlt sich an, als würde ich aus einem Winterschlaf erwachen. Die Sogwirkung hält spürbare Nebenwirkungen bereit. „Wie seltsam sich die Welt außerhalb von TENET anfühlt“, denke ich mir. Ich versuche mich zu sortieren, wie meine Restgedanken. Ich habe bei weitem nicht alles auf Anhieb verstanden. Mein Kino-Herz schlägt dagegen unaufhörlich. Nur der Kopf rattert noch unnachgiebig weiter. Ich geh mit einer Mischung aus Resignation, Erschöpfung und Glücksgefühl nach Hause. Der erste Eindruck muss sacken. Was genau habe ich hier eigentlich gesehen ?! wird attestiert her Seiten vielen von ihm als ,Substanz inhaltliche mehr auch Schauwerten handwerklichen seinen neben Film dem in ich sehe daher Von .logischen physikalisch an als, muss suchen verstehen zu Sinnkonstruktionen anderen an wirklich Film den man dass , wurde klar Überlegung reiflich nach mir dass ,verdeutlichen lediglich wollte Ich .überlassen selbst Zuschauer jedem und ausgespart Stelle dieser an sei ,liegen Film dem in noch Interpretationsmöglichkeiten welche und ,bedeutet das all Was .hat eingeholt bereits Protagonisten die die ,Tatsache eine als Interessanterweise .Tatsache schreitende entgegen uns als gleichzeitig und statt Bedrohung vorliegende als einerseits Zukunft die Ebene dramaturgischer auf passenderweise findet ,einzugehen Details weitere auf dabei Ohne .Zuschauer die an direkt – getätigt Handeln politischen zum Aufforderung eine offensichtlich und thematisiert Klimawandel der gezielt wird hier ,Worten anderen Mit .verweist Flüsse ausgetrocknete und Meeresspiegel steigenden den auf jener wobei ,wird erläutert Bösewichten des Motivation die wenn Oder .“können sein hätte was ,verhindern die ,diejenigen sind Wir,, : spricht Kamera die in Satz wunderschönen den Hauptprotagonist der wenn ,dann Etwa .plakativ geradezu ja ,deutlich ganz diesbezüglich Aussagen seine Film der markiert Dabei  

Ich lese mir einige Rezensionen durch und stolpere über die anfangs erwähnten Kritikpunkte. Dinge, die mich im Nachhinein völlig kalt lassen. In meinen Augen stürzen sich die meisten davon auf Banalitäten; sie verlangen von diesem Film etwas anderes ab als dieser sein möchte. Wer bei dem Film ernsthaft moniert, dass der Umgang mit theoretischer Physik nicht nach dem Logik-Lehrbuch verläuft, brauch sich überhaupt nie wieder irgendeinen Hollywood-Film anschauen. Man könnte es auch anders formulieren : TENET ist „Science-Fantasy“. Genau wie in „Interstellar“. Und genau wie in „Interstellar“ steht bei TENET etwas anderes im Mittelpunkt als eine an den Gesetzen unserer Realität verhaftete Story. Das entscheidende Charakteristikum in TENET bildet nämlich die Form, bzw. die Art und Weise wie der Film mit dem Zuschauer kommuniziert und ganz schlicht, wie er durch seine Inszenierung auf den Zuschauer wirkt. Der einfach gestrickte Plot, die blassen Protagonisten und ein oberflächlicher Bösewicht sind bewusste Abstriche, die den Fokus voll und ganz auf ein atemberaubendes, audiovisuelle Erlebnis richten. Ich kann nur immer wieder betonen, es gibt Actionszenen, die nicht nur wunderbar klar choreografiert sind, sondern die in dieser Herangehensweise noch nie zu sehen waren. Kontinuierlich untermauert von einem grandiosen, pumpenden Soundtrack, der aus jeder Soundanlage das letzte bisschen Bass hervorholt. Allein dafür lohnt der Abstecher beim Lichtspielhaus. Verzeiht mir den wenig originellen Satz, aber TENET ist wahrhaftig ein „Kino-Film“ (Nicht umsonst schneidet Nolan seine Filme gerne auf Leinwandformat). tritt Vorschein zum Talkrunde keiner wie gut so in seltsamerweise die ,birgt Dimension politische eine zuletzt nicht TENET Womit .nach Zukunft und Gegenwart ,Vergangenheit über mehr und mehr gleichsam TENET seit ich denke tatsächlich Und .machen zu begreifbar diese letztlich uns Film der ermutigt und ermöglicht Zeitverläufen von Zerstören das durch aber ,paradox klingt Es .werden durchschauen zu schwieriger Spiellänge zunehmender mit Film im Kausalitäten und Ursachen auch da ,stattfand Szene letzten der nach oder vor ,währte noch eben der ,Moment jener oder dieser ob ,befinden uns wir Zeitlinie welcher in ,fragen Schauen beim mich ich musste Ständig .Zeit von Bewusstsein das für ,Gefühl eben oder, Gespür gewisses ein ,Zeitverlaufs linearen des Auflösen und Durchbrechen ständigen dem ,Rezeption der Form besondere diese erst entwickelt Ohnehin .Wachsfigurenkabinett dem wie ,Plot gestrickten simpel dem an eben Erachtens meines liegt ,gelingt gut trotzdem dies Dass .müssen zusammensetzen Versatzstücken hektischen mitunter den aus Handlung die wir wenn ,entstehen zu Mühsamkeit gewisse eine wohl sehr scheint heraus Gewohnheit dieser Aus .haben internalisiert nahezu und kennen Filmen vielen so von wir die ,Linearität ewigen der Aufbrechen das ausgiebig hier zelebriert er sondern ,Denkens des Art intellektuelle vergleichsweise eine auf nur nicht Zuschauer den Nolan fordert Dadurch .erzählen zu (!) komplex besonders etwas ,darum sondern ,erzählen zu Komplexes möglichst etwas darum nicht geht Es .Erzählweise der hinsichtlich Spektakel diesem bei Ambitionen die ich glaube man missversteht hinaus Darüber

Freitag, 24. Juli 2020

Das Problem mit der Political Correctness – Eine polemische Kritik


1918 wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Eine historische Veränderung gesellschaftlicher Umstände und Menschenrechte, welche aus heutiger Sicht ohne Zweifel als Normalzustand gilt und auch niemand sonderlich überraschen dürfte. Ohnehin gilt für die Bürger Deutschlands, Frauen und Männer sind vor dem Gesetz gleichberechtigt. Dennoch lohnt sich ein oberflächlicher Blick auf dieses Ereignis, denn wir sollten uns vergegenwärtigen, was genau dort stattgefunden hat. Und dabei müssen wir ganz klar festhalten, Frauen kämpften für ihr Wahlrecht (!), denn sie wollten auch Wähler SEIN. Das klingt zu trivial ? Nochmal anders. Frauen wollten nicht nur als Wähler bezeichnet werden, sie wollten wählen DÜRFEN. Und nach Jahrhunderte andauernder Unterdrückung durften sie es schließlich dem elitären X/Y-Chromosomen-Verschnitt gleichtun. Wann immer von diesem Zeitpunkt an die Rede von Wählern war, wusste Mann, Frauen zählen ebenso dazu.

Was hat das nun mit political correctness zu tun ? Zunächst einmal gar nichts. Aber mein Crescendo beginnt ja erst in diesem Moment und wir kommen später noch einmal darauf zurück. Um uns diesen Sachverhalt aus damaliger Zeit etwas verständlicher zu machen, schwenken wir unseren Blick erst einmal kurz in die Informationstheorie, bzw. in die Welt der Programmiersprachen. Und keine Sorge, ich erklär das Ganze so, dass selbst Mathemuffel und Computerscheue dem Folgen können.
Im Folgenden sehen wir ein Fenster einer Entwicklungsumgebung. In so einer Anwendung schreiben Entwickler ihren sogenannten Quellcode, quasi die DNA-Textbausteine irgendwelcher Programme oder Softwareprojekte.

In dieser Umgebung und je nach Programmiersprache (hier Java) kann man verschiedene Variablen benennen und Datentypen ihre Werte zuweisen. Beispiel, wir erzeugen eine Ganzzahl (1,2,3,4,…,24,…,65…usw.), abgekürzt mit int, was für Integer steht (Integer ist Englisch für Ganzzahl und ist hier auch der Datentyp).


Diese Variable braucht aber einen Identifier ( Bezeichner, bzw. Name der Variable), damit wir wissen unter welchem Namen wir diese Zahl im Speicher des Computers ablegen und ggf. wiederfinden können. Man denke nur an die Schulzeit, wer hat seine Ordner und Hefte nicht mit Name, Klasse und Fach beschriftet, um zu wissen wo er was abgelegt hat ? Wir wählen hier den Bezeichner zweiundvierzig

Nun müssen wir der Variable einen Wert zuweisen, denn bislang hat unsere Ganzzahl einen Namen, aber keinen Wert. Wir weisen ihr nun mit dem Zeichen „=“ einen Wert zu, hier 42. 

Man spricht bei dieser Zuweisung auch von der Referenz. An dieser Stelle ist es nun wirklich wichtig, sich über diesen Schritt im Klaren zu sein. Unsere ganzzahlige Variable zweiundvierzig hat NICHT den Wert 42, SONDERN sie verweist darauf, sie referenziert den Wert 42 ! Das ist ein großer Unterschied. Also nochmal, die Zahl 42 ist die Referenz. Und seid beruhigt, das mag anfangs komisch klingen, aber wird gleich noch etwas klarer.
Wir sagen unserem Computersystem als nächstes, dass es unsere Variable ausgeben, d.h. anzeigen soll. Dies geschieht mit einer gängigen Methode ( System.out.println(zweiundvierzig) ), die hier keiner Erläuterung bedarf – es geht ja um den Zweck an sich und nicht darum euch Programmieren beizubringen. 

Wir führen den Code nun in unserem Fenster aus und siehe da, es ist wenig überraschend, wenn wir die Variable zweiundvierzig ausgeben, dann erhalten wir im Ausgabefenster der Entwicklungsumgebung die Zahl 42.
Die Bezeichnung unserer Variablen zweiundvierzig ist nun aber vollkommen egal. Wir könnten sie auch fünfzehn nennen. Machen wir das doch einfach mal.

Sagen wir nun dem Programm es soll fünfzehn ausgeben, dann erhalten wir als Ergebnis 42. Und warum ? Weil wir die Referenz im Speicher unseres Computers ausgeben. fünfzehn ist nur unser Name, der Identifier. Wir könnten unseren Identifier auch pampelmuse nennen. 

Und wieder ändert sich das Ergebnis nicht, wenn wir pampelmuse ausgeben. Das heißt ein Name, bzw. Identifier ist nichts weiteres als eine Hülse, der man allerlei Werte zuweisen kann. Nur weil wir etwas mit zweiundvierzig bezeichnen, ist noch längst nicht klar, was wir darunter verstehen. Wollen wir das Verständnis ändern, dann müssen wir die Referenz, also den Bezugswert verändern. Das machen wir jetzt auch mal. Wir ändern die referenzierte Zahl 42 in 15, geben die Variable pampelmuse aus und siehe da.

Was hat das nun alles mit unserem Aufhänger und der political correctness zu tun ?
Der Glaube in der political correctness besteht ja nun darin, man könne Wörter wie Neger durch Schwarzer substituieren, und die Leute seien - oder denken - weniger rassistisch, da Schwarzer nicht negativ konnotiert ist. In Wirklichkeit betreibt man damit aber nichts anderes, als den Identifier (die Bezeichnung) zu ändern. Genau das, was wir getan haben, als wir zweiundvierzig durch fünfzehn substituiert haben. Die Referenz, die Versklavung, das Apartheits-Regime, der Rassismus, werden nach wie vor mit Schwarzen in Verbindung gebracht und die Vorurteile halten weiterhin an. Stimmt nicht ? Die Bestrebungen zur Vermeidung des Wortes Neger gibt es seit den 1960er Jahren. Das liegt nun über ein halbes Jahrhundert zurück. Ob sich das Verhältnis und der Umgang mit Negern seither wirklich gebessert hat, dafür genügt ein kurzer Blick in die USA. 

Nun werden manche einwenden, Max, das ist doch eine künstliche Programmiersprache, die du hier anführst. Das kann man nicht mit natürlichen Sprachen in einen Topf werfen. Und dabei ist die political correctness genau das. Eine systematische Verordnung. Ein künstlicher Eingriff in unsere Sprache. Anders als eine natürliche Sprachentwicklung, wie sie bei Wortkreationen wie Smombie, I bims oder Ehrenmann (alles Jugendwörter, die aus der kulturellen Entwicklung und den sozialen Umständen dem Volksmund entstammen) beobachtet werden kann, wird bei political correctness die Sprache von oben herab versucht zu regeln. Und das, indem man den Identifier (Bezeichnung) ändert. Der Erfolg bleibt dementsprechend aus.

In der Linguistik ist dieses substituierende Vorgehen übrigens als euphemistische Tretmühle bekannt. Und der österreichische Philosoph Robert Pfaller hat dieses Problem in seinem Buch Erwachsenensprache auf einer etwas anderen Metapher ausgebreitet und verglichen. Pfaller skizziert das Bemühen der Sprachkorrektur mit einem Rotweinfleck auf einer Tischdecke. Anstatt das Problem selbst, den Fleck, von der Decke zu entfernen und auszuwaschen, legt man eine weitere Decke obenauf und glaubt das Problem beseitigt zu haben. Denn nach Donald-Trumpscher Logik (der Zusatz stammt von mir) existiert ein Problem nicht, solange es nur unsichtbar gemacht wird. Es ist dann jedoch nur noch eine Frage der Zeit, bis der Fleck durchdrückt und beide Decken ruiniert sind.  
Möchte man den Rassismus wirklich überwinden und das auch in sprachlicher Hinsicht, dann gilt es das allgemeine gesellschaftliche Verständnis von Begriffen zu verändern. Der Auftrag lautet daher : Ändere die Referenz!

Damit sind wir wieder beim Anfang und dem Verständnis von Wählern. Durch die Änderung der realen gesellschaftlichen Verhältnisse, dass nun auch Frauen wählen durften, hat sich das allgemeine Verständnis (Referenz) geändert. Deswegen bezeichnet das im generischen Maskulinum stehende Wähler seit jeher Frauen UND Männer.

Selbst in der jüngeren Vergangenheit gibt es Ausprägungen eines solchen Wertewandels. Beispiele dieses Phänomens sind etwa die Begriffe Nerd und Gamer. Zugegeben, auch die sind nicht durchweg positiv besetzt. Aber schaut man sich die Entwicklung der letzten Jahre an, dann hat ein deutlicher Verständniswandel in der populären Wahrnehmung eingesetzt. In beiden Fällen war aufgrund realer Gegebenheiten wie Amokläufe an Schulen, falsche und einseitige mediale Berichterstattung, Online-Spielsucht, anfängliche Männerdominanz in der Szene und von Vorurteilen geprägte Charakterzeichnungen, das öffentliche Bild von Gamern und Nerds eher abwertend inszeniert und verstanden.

Heute gibt es in Deutschland gigantische E-Sport Events, riesige Spielemessen, Wohltätigkeitsveranstaltungen rund ums Gaming, den deutschen Computerspielpreis, Computerspiele für die ganze Familie, sowie IT-Profis, die zu Kümmerern geworden sind und sich durch ihre hohe Qualifikation und entsprechend auch durch das äquivalente Einkommen auszeichnen. Spätestens seit Big-Bang-Theory hat auch die Kulturindustrie zu diesem Wandel im allgemeinen Bewusstsein beigetragen. In diesem Zusammenhang hat mich zuletzt eine bekannte Arbeitskollegin auch mal als Nerd bezeichnet, und weder hat sie es despektierlich gemeint, noch ich in abwertender Weise verstanden; eher das Gegenteil war der Fall. Man sieht also daran ein weiteres Mal, die Referenz kann und muss sich ändern.

Derzeit gibt es viele soziale Bewegungen wie Fridays for Future, Scientist for Future, Students for Future oder Black Lives Matter. Könnt ihr euch eine Welt vorstellen, in der es eine soziale Bewegung von Schwarzen gibt, die sich Niggers for Future nennen ? Oder von sich aus eine Bewegung gründen, die sich Niggers against Racism nennen ? Und wenn diese Bewegungen wirklich etwas erreichen, ihr öffentliches Bild für positive Aufmerksamkeit sorgt, wenn sie sich stark machen für Menschenrechte, für das Klima und die Umwelt, was dann ? Ich weiß das klingt zunächst paradox, aber das ist mein voller Ernst. Anfangs würden wir vielleicht sagen, das geht nicht. Das ist rassistisch. Aber wie sähe es in 5 Jahren aus ? Oder in 10 ? 
Könnt ihr euch vorstellen, dass sich die Referenz eines Tages ändert ? Dann denken wir beim Begriff Neger nicht mehr an die Versklavung, die Unterwerfung, den Menschenhass oder unsere allgemeinen Vorurteile, sondern an Vorbildfunktionen. Weil der Begriff synonym zu etwas völlig anderem geworden ist. Weil er für etwas anderes steht. Für was er steht, das hängt vom Realen ab, nicht von der Sprache.

Ich gebe zu, das sagt sich leicht. Mir ist bewusst, dass ich aus dem Elfenbeinturm heraus schreibe. Wenn Menschen sozial, ökonomisch und politisch unterdrückt, verfolgt und diskriminiert werden, dann kann man nicht von ihnen erwarten, sie sollten sich ehrenamtlich und unbedarft am Gemeinwohl engagieren. Eine gesellschaftliche Reputation aufzubauen, muss man sich leisten können. Daher liegt es in der Verantwortung der Privilegierten (Weißen ?), die realen strukturellen Ungerechtigkeiten abzubauen und den Unterdrückten es zu ermöglichen, sich selbst beweisen zu können.   

Und das ist das größte Problem der political correctness, sie gibt sich als wohlgesonnen und human, aber verändert die realen Verhältnisse in fast keiner Weise. Gleichsam werden Menschen mundtot gemacht, von einer empörten Masse niedergeschrien, zensiert und zu Rassisten erklärt, obwohl sie es in Herzen und Gedanken vielleicht niemals waren und so meinten. Denkmäler von Kant, Ahrendt und Marx sollen von ihrem Sockel gestoßen, „falsch“ darstellende Filme geschnitten und „problematische“ Bücher umgeschrieben werden. Ein Geschichtsrevisionismus der übelsten Sorte, der näher am Gedanken der reinrassigen Nazi-Ideologie ist, als einem linken, aufgeklärten Denken. Anstatt auf die Problematiken und Widersprüche hinzuweisen und auf die Mündigkeit des Bürgers zu setzen, sich selbst dem gegenüber politisch zu positionieren, diktiert man die Sprache, die vor dem Hintergrund individueller Befindlichkeiten als korrekt angesehen werden soll. Am Ende bleibt die Sprache-regulierende Staatsgewalt und ihre Anhänger, eine Hand voll Moralapostel, die sich auf die Fahnen schreiben, sie wären im Besitz der Korrektheit, weil sie sich in aller Öffentlichkeit über die Ausdrucksweise der „richtigen“ Wörter empören dürfen. Das ist Balsam für die Seele, da man auf der guten Seite der Macht argumentiert und man selbst fühlt sich gereinigt, unschuldig und dem Ideal am nächsten. Ich gebe nur zu bedenken, wie viel weiter wir vielleicht schon wären, hätte man die gesamte Energie dieser Debatten in die Aufarbeitung realer Verhältnisse investiert. In diesem Sinne : Niggers matter.       

Nachtrag :        

Im Nachhinein ist tatsächlich ein wunderbares Interview erschienen, welches die wesentlichen Argumente nochmal sehr gut auf den Punkt bringt : https://www.youtube.com/watch?v=VafZiLk9nRs 

Montag, 8. Juni 2020

Schönes neues Studium


Die Online-Anmeldung für den Kurs beginnt um 8.00 Uhr. Wessen Internet Leitung zu schmal ist, der muss beten, dass er als erstes Zugang findet. Die Aufnahmeplätze sind teils begrenzt. Jedes Semester das gleiche. Nicht reingekommen. Hoffen, dass ein Ersatztermin angeboten wird oder doch auf später verschieben ? Ich bin Zweitstudent. Ein Semester kostet 650 € on top. Also zusätzlich zu den normalen Studiengebühren. Bahn-Ticket, Miete und Lebensmittel sind nicht mit eingerechnet. Wohnen auf dem Uni-Campus ist halbwegs erschwinglich. Wenn man denn einen Platz dort bekommt. Ich nicht. Ich wohne in einem privaten Studentenwohnheim nahe der Universität. 450 € warm, 12 Quadratmeter Rückzugsfläche auf dem sich mein bescheidenes Leben abspielt. Immerhin günstiger als die letzte Wohnung, von der ich noch 45 Minuten mit dem Zug anreisen musste. Ich kann mir die Wohnung leisten, weil meine Eltern sie sich leisten können. Keine Frage, ein Privileg. Für den Rest muss ich selbst aufkommen. Ein Werkstudentenjob bei einem Escape-Room Anbieter. Gehalt, ca. 450 € monatlich. Ein Teil wandert wie vorgeschrieben direkt in die Rentenkasse. Arbeitsaufwand etwa 10,5 Stunden an sieben Tagen. An- und Abreise umfassen nochmal 2-3 Stunden in der Woche. Ich muss ständig meine Zeiten kalkulieren. Es gibt keine 24-Stunden Tage. Mindestens 7 Stunden muss ich durchschlafen, alles darunter wird ungesund und führt zu Unproduktivität. Ein Tag hat demzufolge eine Kapazität von 17 Stunden. Ich versuche gesundheitsbewusst zu sein. Kochen und Essen nochmals 1-2 Stunden am Tag. Mindestens dreimal die Woche Sport. Einfach raus und Rennen bis zur Erschöpfung. Den Stress austreiben, den Gedankenballast abwerfen. Duschen. Addiere 5 Stunden auf dein Wochenzeitkonto. Der Kühlschrank leert sich. Einkaufen gehen. Ich versuch sogar eine nachhaltige Auswahl zu treffen. Wenig Fleisch, regionale Produkte. Ich laufe dafür zum Supermarkt. Gut für mich und die Umwelt. Nachteil, ich muss öfters laufen. Das kostet Zeit. Die Bahn ist hier kein Ersparnis. Das Fahrrad auch nicht wirklich. Letzteres wurde mir mal geklaut. Einfach so, vorm Wohnheim aufgeladen und abtransportiert über die Grenze. Ich komme vom Einkaufen zurück. Wieder 3 Stunden in der Woche weniger Zeit für die Uni. Der Modulkatalog sieht für die Regelstudienzeit etwa 4-5 Veranstaltungen jedes Semester vor. Meine Kombination aus Mathe und Informatik ist härtester Stoff. Eine typische Vorlesung aus den Fachbereichen umfasst 2-3 Termine in der Woche. Manchmal drei verschiedene Vorlesungen an einem Tag. Theoretische Informatik, Analysis, Lineare Algebra. Trockenster Tobak aus Formel- und Buchstabensalat, so staubig wie die Tafelkreide des Professors. Das ganze mal vier jede Woche, inklusive Übungen. Für jede davon gibt es Aufgabenblätter, jede Woche. Wer die Quote nicht erfüllt, der braucht die Scheinklausur gar nicht mitschreiben. Scheinklausur, die Prüfung, um zur eigentlichen Prüfung zugelassen zu werden. Quasi der nervige Lakaie vor dem Endgegner. Auch der hat’s in sich. Entweder du bestehst oder du lernst nächstes Semester wieder auf die Prüfung. Das kostet Zeit. Du hast keine Zeit, und kein Geld. Also schau, dass du rechtzeitig fertig wirst.
Wie das gehen soll ? Die Uni meint wir sind Vollzeitstudenten. Das trifft aber nur auf diejenigen zu, die es sich leisten können. Bildung für alle ? Deutschland eine Wissensgesellschaft ? Politische Phrasen. Im ersten Semester bin ich durch zwei Prüfungen durchgerasselt. Plot-Twist, ich hab auch nur zwei von vier Prüfungen geschrieben. Vieles war zu viel, und zu unverständlich. Zweiter Anlauf, bitte nochmal langsamer und gründlicher erklären. Ich will (!) das ja, denk ich mir. Vorlesungen musst du wiederholen. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, sondern immer ! Von Tag 1 an am besten. Das dauert, mindestens 1 Stunde pro Vorlesung. Stoff, der mich interessiert, nicht meine späteren Schüler. Manche von ihnen werden nie etwas davon auch nur im Ansatz zu hören bekommen. Wenn ein Lehramtsstudent den Master in der Tasche hat, hat er eine klare Vorstellung von den kalten, kargen Sälen der Universität, aber kein Gespür für das Gelingen einer Schulstunde. Im 3. Semester hatte ich mein Orientierungspraktikum. 15 Tage Schule. Wir sollen beobachten. Eine Forschungsfrage beantworten. Selbst unterrichten ? Eher nicht. Man möchte uns nicht überfordern. Bloß nichts zumuten. Ihr habt ja keine Erfahrung. Parallel sind sowieso Prüfungen. Kann man ja nix vorbereiten. Motivation für ein Berufsfeld wecken sieht also so aus. Wieder zurück an die Uni. Mittags, wenn ich nicht arbeite und nicht in der Vorlesung bin, sitze ich über einem Mathematischen Beweis. Manchmal kommt die Logik nach reiflich Überlegen und man freut sich. Oftmals gibt man auf und fragt unterwürfig nach der Lösung. Deprimierend, eigentlich weiß man, es wäre besser selber darauf zu kommen. Wenn man nur mal in Ruhe nachdenken könnte. Überall wuselt es. Selbst in der Bibliothek findet Distraktion an jeder Ecke statt. Eine andere Aufgabe. Wir sollen etwas programmieren, mit Java-Script und CSS. Niemand aus der Gruppe kann die formalen Sprachen. Alle beherrschen nur Java. Gut, dann lernt ihr das halt jetzt so nebenbei, heißt es von der offiziellen Stelle. Ihr habt eine Woche Zeit dafür. Haben wir nicht. Wir haben eine Deadline. Ich will es ja lernen, aber die Zeit hab ich nicht. Am Abend geht es auf die Arbeit. Jetzt bitte freundlich sein und den Kunden den Spaß und Freude vermitteln. Setz ein Lächeln auf. Ende ist um 22 Uhr, manchmal noch später. Mach noch den Kassenschluss, bete, dass dieser stimmt und dann husch nach Hause und ins Bett. Aber eigentlich müsste ich die letzte Vorlesung Analysis noch nachbearbeiten. In der Heimat, die Gespräche mit der Familie. „Wie läuft es im Studium ? Was fängst du mal später damit an ? Wie lange musst du eigentlich noch studieren ?“ Immer dieselben Fragen. Immer dieselben Antworten. Es geht nie um den Inhalt. Nie um die Materie. Das Elternhaus hat nicht studiert. Sie sind zu weit weg. Also immer dieselben Antworten. Gut, Lehrer, mindestens noch 8 Semester. „So lange ? Wie alt bist du denn dann ?“ Ich kotze. Alles dreht sich immer um ECTS Punkte, Prüfungspunkte, Noten, Abgaben, Anmeldungen, Anträge, Nachweise, Finanzierung, Bescheinigungen, Einnahmen, Ausgaben, Zeitanlagen. Hab ich schon Bafög erwähnt ? Das ist dieses Harz IV für Studenten. Allerdings mit Rückzahlungsklausel, also am besten gleich damit anfangen Herr und Frau Vollzeitstudent. Was der Staat nicht alles für seine Zukunft tut. Und dann, wenn du einem Besserwisser über den Weg läufst, der Clowns zum Frühstück frisst und dir entgegnet : „Student ? Oh, die haben es so schön. Ausschlafen. Flexibler Tagesablauf. Entspanntes Leben. Bachelor ? Vergleichsweise einfach.“ , dann weißt du insgeheim, eigentlich behandelt man dich wie das letzte Häufchen Dreck. Ständig Leistung erbringen ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Solche Leute sind entweder Asketen oder Sklaven. Da helfen auch keine drei Tage Waldbaden oder Achtsamkeitstraining. Es bleibt wie es ist. Und wie ist es derzeit ? Der Job ist weggefallen. Für mich und viele andere. Natürlich sind alle davon betroffen. Aber was hat ein Student ? Keine Qualifikation, keine Erfahrung. Nur Hoffnung auf Eltern, die ihn mit starken Armen auffangen. Manche schaffen es nicht mehr ihr Studium zu finanzieren. Sie brechen ab oder treten jetzt gar nicht erst an. Die Corona-Krise ist für so mancher der Todesstoß in einem ohnehin kaputten System. Ich werde es überleben. Ich werde mich durchbeißen, mit eisernem, ungebrochenen Willen und Unterstützung meiner Kommilitonen. Egal wie tief die Scheiße noch wird und wie sehr man versucht das Studium zu verhunzen und zu verunglimpfen. Lehrer ist ein ehrenwerter Beruf, das weiß ich. Und dieses Studium wird hart erkämpft werden, mit Liebe und Geduld, nicht dank, sondern trotz aller Umstände. Nur, ist das unsere Vorstellung von einem Bildungssystem ? Am Ende wartet auf niemanden eine Belohnung in Form von Dankbarkeit, sondern Schmerzensgeld, dafür, dass er sich das alles hat bieten lassen. Respekt und zugleich Mitleid an alle, die das Glück haben diese Hölle durchzustehen.

Mittwoch, 3. Juni 2020

Ein Gedicht aus der Quarantäne

Gib mir was, worüber niemand weiß, in der Welt
Und schau, wie sie in sich zusammenfällt.
Vor Angst, nur wovor ? Frag ich mich.
Nicht der Tod, nicht das wir, noch das Ich.
Aber morgen schon glaubt man Sorgen zu tragen,
weiß keine Antwort, aber stellt tausend Fragen.
Wo wir einst lagen, sind wir nicht mehr
als wir waren, wieder gefangen - immer,
im Sinnen an das Gestern - zu erhoffen,
die Lösung säße dort herum, sogar offen.

Doch wer ständig an Vergangnes und Nächstes denkt,
verliert‘s Beständige im Leben, den Moment.
Und lernt derzeit mit bittrer Niederschlagenheit,
wen die Angst ereilt, bleibt vom Wissen befreit.
Der tut sich mit Gewalt seiner Stimme kund,
lügt und schreit und verbreitet Logikschund,
wagt‘s nicht jemals seine Sicht zu fallieren,
könnt man am Ende gar die Ehr verlieren.
Und rebelliert daher gegen Mummenschanz,
Sauberkeitsobsession und sichre Mindestdistanz.
Lässt sich dafür, mit Kulanz, am Glauben abrichten,
Freiheit sei zu tun, ohne Rücksicht zu nehmen.

Glaubt nicht Gewinner sind, die Recht behalten,
sind jetzt wahrlich die, die die Zeit gestalten.
Haltn sich eisern am Schopfe Kairos fest
und schreiben ihre Geschichten vom großn Manifest.
Von der schönen neuen Welt, ab heute schon,
verhaftet, vor Freude auf den Erkenntnislohn.


So wie Ich, der Informatik-Student,
der, gern geglaubt, nur seine Maschine kennt.
Und mit ihr in eigner Sprache spricht,
weiß er zuweiln, sie reicht ihm nicht,
dem andern gänzlich nah zu sein, ungeteilt,
vollkommen, in seiner reinen Gestalt,
mit Haut und Haar und dem Geruch am Leib,
und jedem dumm Spruch über Leut und Leid.

Ich spür’s, beim Lehrn und Lern körperlos zu sein,
verkraftet man lernt’s noch ganz gut allein,
vom Lesen und Bildern und Stimmen her,
gibt’s alles zu wissen, so viel, so viel mehr.
Nur auf Dauer zeigt‘s die Ferne, hier im Exil
verharren - bietet dem Horizont nicht viel.
Der schimmert sehnsüchtig am Firmament,
während‘s das Wahre, Liebe, Schöne, verbrennt.       

So fiebert die Seele eifrig dem Tag entgegen,
der bringt kein vertrauts, aber neues Leben.
Weiser, gefeiter, aus Datenasche aufgestiegn,
werd ich der Masse in den Armen liegen,
geprägt von leern Straßen und Totenregen,
wissend von Herzen, den Traum wird’s geben.