Die Online-Anmeldung für den Kurs beginnt um 8.00 Uhr. Wessen
Internet Leitung zu schmal ist, der muss beten, dass er als erstes Zugang findet.
Die Aufnahmeplätze sind teils begrenzt. Jedes Semester das gleiche. Nicht
reingekommen. Hoffen, dass ein Ersatztermin angeboten wird oder doch auf später
verschieben ? Ich bin Zweitstudent. Ein Semester kostet 650 € on top. Also
zusätzlich zu den normalen Studiengebühren. Bahn-Ticket, Miete und Lebensmittel sind nicht mit eingerechnet. Wohnen auf dem Uni-Campus ist halbwegs
erschwinglich. Wenn man denn einen Platz dort bekommt. Ich nicht. Ich wohne in
einem privaten Studentenwohnheim nahe der Universität. 450 € warm, 12
Quadratmeter Rückzugsfläche auf dem sich mein bescheidenes Leben abspielt. Immerhin
günstiger als die letzte Wohnung, von der ich noch 45 Minuten mit dem Zug
anreisen musste. Ich kann mir die Wohnung leisten, weil meine Eltern sie sich
leisten können. Keine Frage, ein Privileg. Für den Rest muss ich selbst aufkommen.
Ein Werkstudentenjob bei einem Escape-Room Anbieter. Gehalt, ca. 450 €
monatlich. Ein Teil wandert wie vorgeschrieben direkt in die Rentenkasse. Arbeitsaufwand etwa 10,5 Stunden an sieben Tagen. An- und Abreise
umfassen nochmal 2-3 Stunden in der Woche. Ich muss ständig meine Zeiten
kalkulieren. Es gibt keine 24-Stunden Tage. Mindestens 7 Stunden muss ich durchschlafen,
alles darunter wird ungesund und führt zu Unproduktivität. Ein Tag hat demzufolge
eine Kapazität von 17 Stunden. Ich versuche gesundheitsbewusst zu sein. Kochen
und Essen nochmals 1-2 Stunden am Tag. Mindestens dreimal die Woche Sport.
Einfach raus und Rennen bis zur Erschöpfung. Den Stress austreiben, den
Gedankenballast abwerfen. Duschen. Addiere 5 Stunden auf dein Wochenzeitkonto.
Der Kühlschrank leert sich. Einkaufen gehen. Ich versuch sogar eine nachhaltige
Auswahl zu treffen. Wenig Fleisch, regionale Produkte. Ich laufe dafür zum
Supermarkt. Gut für mich und die Umwelt. Nachteil, ich muss öfters laufen. Das
kostet Zeit. Die Bahn ist hier kein Ersparnis. Das Fahrrad auch nicht wirklich.
Letzteres wurde mir mal geklaut. Einfach so, vorm Wohnheim aufgeladen und abtransportiert
über die Grenze. Ich komme vom Einkaufen zurück. Wieder 3 Stunden in der Woche weniger
Zeit für die Uni. Der Modulkatalog sieht für die Regelstudienzeit etwa 4-5 Veranstaltungen
jedes Semester vor. Meine Kombination aus Mathe und Informatik ist härtester
Stoff. Eine typische Vorlesung aus den Fachbereichen umfasst 2-3 Termine in der
Woche. Manchmal drei verschiedene Vorlesungen an einem Tag. Theoretische
Informatik, Analysis, Lineare Algebra. Trockenster Tobak aus Formel- und Buchstabensalat,
so staubig wie die Tafelkreide des Professors. Das ganze mal vier jede Woche,
inklusive Übungen. Für jede davon gibt es Aufgabenblätter, jede Woche. Wer die
Quote nicht erfüllt, der braucht die Scheinklausur gar nicht mitschreiben. Scheinklausur,
die Prüfung, um zur eigentlichen Prüfung zugelassen zu werden. Quasi der nervige
Lakaie vor dem Endgegner. Auch der hat’s in sich. Entweder du bestehst oder du lernst
nächstes Semester wieder auf die Prüfung. Das kostet Zeit. Du hast keine Zeit,
und kein Geld. Also schau, dass du rechtzeitig fertig wirst.
Wie das gehen soll ? Die Uni meint wir sind
Vollzeitstudenten. Das trifft aber nur auf diejenigen zu, die es sich leisten
können. Bildung für alle ? Deutschland eine Wissensgesellschaft ? Politische
Phrasen. Im ersten Semester bin ich durch zwei Prüfungen durchgerasselt. Plot-Twist,
ich hab auch nur zwei von vier Prüfungen geschrieben. Vieles war zu viel, und
zu unverständlich. Zweiter Anlauf, bitte nochmal langsamer und gründlicher
erklären. Ich will (!) das ja, denk ich mir. Vorlesungen musst du wiederholen.
Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, sondern immer ! Von Tag 1 an am
besten. Das dauert, mindestens 1 Stunde pro Vorlesung. Stoff, der mich interessiert,
nicht meine späteren Schüler. Manche von ihnen werden nie etwas davon auch nur
im Ansatz zu hören bekommen. Wenn ein Lehramtsstudent den Master in der Tasche
hat, hat er eine klare Vorstellung von den kalten, kargen Sälen der Universität,
aber kein Gespür für das Gelingen einer Schulstunde. Im 3. Semester hatte ich mein Orientierungspraktikum. 15 Tage Schule. Wir sollen beobachten. Eine Forschungsfrage beantworten. Selbst unterrichten ? Eher nicht. Man möchte uns nicht überfordern. Bloß nichts zumuten. Ihr habt ja keine Erfahrung. Parallel sind sowieso Prüfungen. Kann man ja nix vorbereiten. Motivation für ein Berufsfeld wecken sieht also so aus. Wieder zurück an die Uni. Mittags, wenn ich nicht
arbeite und nicht in der Vorlesung bin, sitze ich über einem Mathematischen Beweis.
Manchmal kommt die Logik nach reiflich Überlegen und man freut sich. Oftmals
gibt man auf und fragt unterwürfig nach der Lösung. Deprimierend, eigentlich weiß
man, es wäre besser selber darauf zu kommen. Wenn man nur mal in Ruhe
nachdenken könnte. Überall wuselt es. Selbst in der Bibliothek findet Distraktion an jeder Ecke statt. Eine andere Aufgabe. Wir sollen etwas programmieren, mit Java-Script und CSS. Niemand aus der Gruppe kann die formalen Sprachen. Alle beherrschen nur Java. Gut, dann lernt ihr das halt jetzt so nebenbei, heißt es von
der offiziellen Stelle. Ihr habt eine Woche Zeit dafür. Haben wir nicht. Wir haben eine Deadline. Ich will es ja lernen, aber die Zeit hab ich nicht. Am Abend geht es auf
die Arbeit. Jetzt bitte freundlich sein und den Kunden den Spaß und Freude vermitteln.
Setz ein Lächeln auf. Ende ist um 22 Uhr, manchmal noch später. Mach noch den Kassenschluss, bete, dass dieser stimmt
und dann husch nach Hause und ins Bett. Aber eigentlich müsste ich die letzte
Vorlesung Analysis noch nachbearbeiten. In der Heimat, die Gespräche mit der
Familie. „Wie läuft es im Studium ? Was fängst du mal später damit an ? Wie
lange musst du eigentlich noch studieren ?“ Immer dieselben Fragen. Immer dieselben
Antworten. Es geht nie um den Inhalt. Nie um die Materie. Das Elternhaus hat
nicht studiert. Sie sind zu weit weg. Also immer dieselben Antworten. Gut,
Lehrer, mindestens noch 8 Semester. „So lange ? Wie alt bist du denn dann ?“ Ich
kotze. Alles dreht sich immer um ECTS Punkte, Prüfungspunkte, Noten, Abgaben, Anmeldungen,
Anträge, Nachweise, Finanzierung, Bescheinigungen, Einnahmen, Ausgaben, Zeitanlagen.
Hab ich schon Bafög erwähnt ? Das ist dieses Harz IV für Studenten. Allerdings
mit Rückzahlungsklausel, also am besten gleich damit anfangen Herr und Frau Vollzeitstudent. Was der Staat nicht alles für seine Zukunft
tut. Und dann, wenn du einem Besserwisser über den Weg läufst, der Clowns zum
Frühstück frisst und dir entgegnet : „Student ? Oh, die haben es so schön. Ausschlafen. Flexibler Tagesablauf. Entspanntes Leben. Bachelor ? Vergleichsweise einfach.“ , dann weißt du insgeheim, eigentlich behandelt man dich
wie das letzte Häufchen Dreck. Ständig Leistung erbringen ohne eine
Gegenleistung zu erhalten. Solche Leute sind entweder Asketen oder Sklaven. Da helfen auch keine drei Tage Waldbaden oder Achtsamkeitstraining. Es bleibt wie es ist. Und
wie ist es derzeit ? Der Job ist weggefallen. Für mich und viele andere. Natürlich sind alle davon betroffen. Aber was hat ein Student ? Keine Qualifikation, keine Erfahrung. Nur Hoffnung auf Eltern, die ihn mit starken Armen auffangen. Manche
schaffen es nicht mehr ihr Studium zu finanzieren. Sie brechen ab oder treten jetzt gar nicht erst an. Die Corona-Krise ist für so mancher der Todesstoß in
einem ohnehin kaputten System. Ich werde es überleben. Ich werde mich durchbeißen,
mit eisernem, ungebrochenen Willen und Unterstützung meiner Kommilitonen. Egal
wie tief die Scheiße noch wird und wie sehr man versucht das Studium zu verhunzen
und zu verunglimpfen. Lehrer ist ein ehrenwerter Beruf, das weiß ich. Und dieses
Studium wird hart erkämpft werden, mit Liebe und Geduld, nicht dank, sondern trotz aller Umstände. Nur,
ist das unsere Vorstellung von einem Bildungssystem ? Am Ende wartet auf niemanden
eine Belohnung in Form von Dankbarkeit, sondern Schmerzensgeld, dafür, dass er
sich das alles hat bieten lassen. Respekt und zugleich Mitleid an alle, die das Glück haben diese Hölle durchzustehen.
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