1918 wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt.
Eine historische Veränderung gesellschaftlicher Umstände und Menschenrechte, welche
aus heutiger Sicht ohne Zweifel als Normalzustand gilt und auch niemand
sonderlich überraschen dürfte. Ohnehin gilt für die Bürger Deutschlands, Frauen
und Männer sind vor dem Gesetz gleichberechtigt. Dennoch lohnt sich ein oberflächlicher
Blick auf dieses Ereignis, denn wir sollten uns vergegenwärtigen, was genau
dort stattgefunden hat. Und dabei müssen wir ganz klar festhalten, Frauen
kämpften für ihr Wahlrecht (!), denn sie wollten auch Wähler SEIN. Das klingt
zu trivial ? Nochmal anders. Frauen wollten nicht nur als Wähler bezeichnet
werden, sie wollten wählen DÜRFEN. Und nach Jahrhunderte andauernder
Unterdrückung durften sie es schließlich dem elitären
X/Y-Chromosomen-Verschnitt gleichtun. Wann immer von diesem Zeitpunkt an die
Rede von Wählern war, wusste Mann, Frauen zählen ebenso dazu.
Was hat das nun mit political correctness zu tun ? Zunächst
einmal gar nichts. Aber mein Crescendo beginnt ja erst in diesem Moment und wir
kommen später noch einmal darauf zurück. Um uns diesen Sachverhalt aus
damaliger Zeit etwas verständlicher zu machen, schwenken wir unseren Blick erst
einmal kurz in die Informationstheorie, bzw. in die Welt der Programmiersprachen.
Und keine Sorge, ich erklär das Ganze so, dass selbst Mathemuffel und
Computerscheue dem Folgen können.
Im Folgenden sehen wir ein Fenster einer
Entwicklungsumgebung. In so einer Anwendung schreiben Entwickler ihren
sogenannten Quellcode, quasi die DNA-Textbausteine irgendwelcher Programme oder
Softwareprojekte.
In dieser Umgebung und je nach Programmiersprache (hier
Java) kann man verschiedene Variablen benennen und Datentypen ihre Werte
zuweisen. Beispiel, wir erzeugen eine Ganzzahl (1,2,3,4,…,24,…,65…usw.),
abgekürzt mit int, was für Integer steht (Integer ist Englisch für
Ganzzahl und ist hier auch der Datentyp).
Diese Variable braucht aber einen Identifier ( Bezeichner, bzw. Name der Variable), damit wir wissen
unter welchem Namen wir diese Zahl im Speicher des Computers ablegen und ggf. wiederfinden
können. Man denke nur an die Schulzeit, wer hat seine Ordner und Hefte nicht
mit Name, Klasse und Fach beschriftet, um zu wissen wo er was abgelegt hat ? Wir
wählen hier den Bezeichner zweiundvierzig.
Nun müssen wir der Variable einen Wert zuweisen, denn
bislang hat unsere Ganzzahl einen Namen, aber keinen Wert. Wir weisen ihr nun
mit dem Zeichen „=“ einen Wert zu, hier 42.
Man spricht bei dieser Zuweisung auch von der Referenz. An dieser Stelle ist es nun
wirklich wichtig, sich über diesen Schritt im Klaren zu sein. Unsere
ganzzahlige Variable zweiundvierzig
hat NICHT den Wert 42, SONDERN sie verweist darauf, sie referenziert den Wert
42 ! Das ist ein großer Unterschied. Also nochmal, die Zahl 42 ist die
Referenz. Und seid beruhigt, das mag anfangs komisch klingen, aber wird gleich
noch etwas klarer.
Wir sagen unserem Computersystem als nächstes, dass es
unsere Variable ausgeben, d.h. anzeigen soll. Dies geschieht mit einer gängigen
Methode ( System.out.println(zweiundvierzig)
), die hier keiner Erläuterung bedarf – es geht ja um den Zweck an sich und
nicht darum euch Programmieren beizubringen.
Wir führen den Code nun in unserem Fenster aus und siehe da,
es ist wenig überraschend, wenn wir die Variable zweiundvierzig ausgeben, dann erhalten wir im Ausgabefenster der
Entwicklungsumgebung die Zahl 42.
Die Bezeichnung unserer Variablen zweiundvierzig ist nun aber vollkommen egal. Wir könnten sie auch fünfzehn nennen. Machen wir das doch
einfach mal.
Sagen wir nun dem Programm es soll fünfzehn ausgeben, dann erhalten wir als Ergebnis 42. Und warum ?
Weil wir die Referenz im Speicher unseres Computers ausgeben. fünfzehn ist nur unser Name, der
Identifier. Wir könnten unseren Identifier auch pampelmuse nennen.
Und wieder ändert sich das Ergebnis nicht, wenn wir pampelmuse ausgeben. Das heißt ein Name,
bzw. Identifier ist nichts weiteres als eine Hülse, der man allerlei Werte zuweisen
kann. Nur weil wir etwas mit zweiundvierzig
bezeichnen, ist noch längst nicht klar, was wir darunter verstehen. Wollen
wir das Verständnis ändern, dann müssen wir die Referenz, also den Bezugswert
verändern. Das machen wir jetzt auch mal. Wir ändern die referenzierte Zahl 42
in 15, geben die Variable pampelmuse aus
und siehe da.
Was hat das nun alles mit unserem Aufhänger und der
political correctness zu tun ?
Der Glaube in der political correctness besteht ja nun
darin, man könne Wörter wie Neger
durch Schwarzer substituieren, und die Leute seien - oder denken - weniger
rassistisch, da Schwarzer nicht negativ konnotiert ist. In Wirklichkeit
betreibt man damit aber nichts anderes, als den Identifier (die Bezeichnung) zu
ändern. Genau das, was wir getan haben, als wir zweiundvierzig durch fünfzehn
substituiert haben. Die Referenz, die Versklavung, das Apartheits-Regime,
der Rassismus, werden nach wie vor mit Schwarzen in Verbindung gebracht und die
Vorurteile halten weiterhin an. Stimmt nicht ? Die Bestrebungen zur Vermeidung
des Wortes Neger gibt es seit den 1960er Jahren. Das liegt nun über ein halbes
Jahrhundert zurück. Ob sich das Verhältnis und der Umgang mit Negern seither
wirklich gebessert hat, dafür genügt ein kurzer Blick in die USA.
Nun werden manche einwenden, Max, das ist doch eine
künstliche Programmiersprache, die du hier anführst. Das kann man nicht mit
natürlichen Sprachen in einen Topf werfen. Und dabei ist die political
correctness genau das. Eine systematische Verordnung. Ein künstlicher Eingriff
in unsere Sprache. Anders als eine natürliche Sprachentwicklung, wie sie bei Wortkreationen
wie Smombie, I bims oder Ehrenmann (alles Jugendwörter, die aus
der kulturellen Entwicklung und den sozialen Umständen dem Volksmund entstammen)
beobachtet werden kann, wird bei political correctness die Sprache von oben
herab versucht zu regeln. Und das, indem man den Identifier (Bezeichnung)
ändert. Der Erfolg bleibt dementsprechend aus.
In der Linguistik ist dieses substituierende Vorgehen übrigens
als euphemistische Tretmühle bekannt.
Und der österreichische Philosoph Robert Pfaller hat dieses Problem in seinem
Buch Erwachsenensprache auf einer etwas
anderen Metapher ausgebreitet und verglichen. Pfaller skizziert das Bemühen der
Sprachkorrektur mit einem Rotweinfleck auf einer Tischdecke. Anstatt das
Problem selbst, den Fleck, von der Decke zu entfernen und auszuwaschen, legt
man eine weitere Decke obenauf und glaubt das Problem beseitigt zu haben. Denn
nach Donald-Trumpscher Logik (der Zusatz stammt von mir) existiert ein Problem
nicht, solange es nur unsichtbar gemacht wird. Es ist dann jedoch nur noch eine
Frage der Zeit, bis der Fleck durchdrückt und beide Decken ruiniert sind.
Möchte man den Rassismus wirklich überwinden und das auch in
sprachlicher Hinsicht, dann gilt es das allgemeine gesellschaftliche
Verständnis von Begriffen zu verändern. Der Auftrag lautet daher : Ändere die
Referenz!
Damit sind wir wieder beim Anfang und dem Verständnis von Wählern.
Durch die Änderung der realen gesellschaftlichen Verhältnisse, dass nun auch Frauen
wählen durften, hat sich das allgemeine Verständnis (Referenz) geändert.
Deswegen bezeichnet das im generischen Maskulinum stehende Wähler seit jeher Frauen UND Männer.
Selbst in der jüngeren Vergangenheit gibt es Ausprägungen eines
solchen Wertewandels. Beispiele dieses Phänomens sind etwa die Begriffe Nerd und Gamer. Zugegeben, auch die sind nicht durchweg positiv besetzt.
Aber schaut man sich die Entwicklung der letzten Jahre an, dann hat ein
deutlicher Verständniswandel in der populären Wahrnehmung eingesetzt. In beiden
Fällen war aufgrund realer Gegebenheiten wie Amokläufe an Schulen, falsche und
einseitige mediale Berichterstattung, Online-Spielsucht, anfängliche
Männerdominanz in der Szene und von Vorurteilen geprägte Charakterzeichnungen,
das öffentliche Bild von Gamern und Nerds eher abwertend inszeniert und
verstanden.
Heute gibt es in Deutschland gigantische E-Sport Events,
riesige Spielemessen, Wohltätigkeitsveranstaltungen rund ums Gaming, den
deutschen Computerspielpreis, Computerspiele für die ganze Familie, sowie IT-Profis,
die zu Kümmerern geworden sind und sich durch ihre hohe Qualifikation und
entsprechend auch durch das äquivalente Einkommen auszeichnen. Spätestens seit
Big-Bang-Theory hat auch die Kulturindustrie zu diesem Wandel im allgemeinen
Bewusstsein beigetragen. In diesem Zusammenhang hat mich zuletzt eine bekannte
Arbeitskollegin auch mal als Nerd bezeichnet, und weder hat sie es
despektierlich gemeint, noch ich in abwertender Weise verstanden; eher das
Gegenteil war der Fall. Man sieht also daran ein weiteres Mal, die Referenz kann
und muss sich ändern.
Derzeit gibt es viele soziale Bewegungen wie Fridays for
Future, Scientist for Future, Students for Future oder Black Lives Matter.
Könnt ihr euch eine Welt vorstellen, in der es eine soziale Bewegung von
Schwarzen gibt, die sich Niggers for Future nennen ? Oder von sich aus eine
Bewegung gründen, die sich Niggers against Racism nennen ? Und wenn diese
Bewegungen wirklich etwas erreichen, ihr öffentliches Bild für positive
Aufmerksamkeit sorgt, wenn sie sich stark machen für Menschenrechte, für das
Klima und die Umwelt, was dann ? Ich weiß das klingt zunächst paradox, aber das
ist mein voller Ernst. Anfangs würden wir vielleicht sagen, das geht nicht. Das
ist rassistisch. Aber wie sähe es in 5 Jahren aus ? Oder in 10 ?
Könnt ihr euch
vorstellen, dass sich die Referenz eines Tages ändert ? Dann denken wir beim
Begriff Neger nicht mehr an die
Versklavung, die Unterwerfung, den Menschenhass oder unsere allgemeinen
Vorurteile, sondern an Vorbildfunktionen. Weil der Begriff synonym zu etwas
völlig anderem geworden ist. Weil er für etwas anderes steht. Für was er steht,
das hängt vom Realen ab, nicht von der Sprache.
Ich gebe zu, das sagt sich leicht. Mir ist bewusst, dass ich
aus dem Elfenbeinturm heraus schreibe. Wenn Menschen sozial, ökonomisch und
politisch unterdrückt, verfolgt und diskriminiert werden, dann kann man nicht
von ihnen erwarten, sie sollten sich ehrenamtlich und unbedarft am Gemeinwohl engagieren.
Eine gesellschaftliche Reputation aufzubauen, muss man sich leisten können.
Daher liegt es in der Verantwortung der Privilegierten (Weißen ?), die realen strukturellen
Ungerechtigkeiten abzubauen und den Unterdrückten es zu ermöglichen, sich selbst
beweisen zu können.
Und das ist das größte Problem der political correctness,
sie gibt sich als wohlgesonnen und human, aber verändert die realen
Verhältnisse in fast keiner Weise. Gleichsam werden Menschen mundtot gemacht,
von einer empörten Masse niedergeschrien, zensiert und zu Rassisten erklärt,
obwohl sie es in Herzen und Gedanken vielleicht niemals waren und so meinten. Denkmäler
von Kant, Ahrendt und Marx sollen von ihrem Sockel gestoßen, „falsch“
darstellende Filme geschnitten und „problematische“ Bücher umgeschrieben werden.
Ein Geschichtsrevisionismus der übelsten Sorte, der näher am Gedanken der reinrassigen
Nazi-Ideologie ist, als einem linken, aufgeklärten Denken. Anstatt auf die Problematiken
und Widersprüche hinzuweisen und auf die Mündigkeit des Bürgers zu setzen, sich
selbst dem gegenüber politisch zu positionieren, diktiert man die Sprache, die vor dem Hintergrund individueller Befindlichkeiten als korrekt angesehen werden soll. Am Ende bleibt die Sprache-regulierende
Staatsgewalt und ihre Anhänger, eine Hand voll Moralapostel, die sich auf die
Fahnen schreiben, sie wären im Besitz der Korrektheit, weil sie sich in aller
Öffentlichkeit über die Ausdrucksweise der „richtigen“ Wörter empören dürfen.
Das ist Balsam für die Seele, da man auf der guten Seite der Macht argumentiert
und man selbst fühlt sich gereinigt, unschuldig und dem Ideal am nächsten. Ich
gebe nur zu bedenken, wie viel weiter wir vielleicht schon wären, hätte man die
gesamte Energie dieser Debatten in die Aufarbeitung realer Verhältnisse
investiert. In diesem Sinne : Niggers matter.
Nachtrag :
Im Nachhinein ist tatsächlich ein wunderbares Interview erschienen, welches die wesentlichen Argumente nochmal sehr gut auf den Punkt bringt : https://www.youtube.com/watch?v=VafZiLk9nRs
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