Donnerstag, 31. Dezember 2020

Die Corona-rote Brille - Gedanken zum Jahr 2020

 

Vom Sterben der Kultur und invertiertem Denken

Es ist schwer einen Schlussstrich unter diesem Jahr ziehen zu können, denn seit dem Eintritt von Corona in unsere Gesellschaft vergeht die Zeit spürbar anders. Nahezu alles, was einst Routine, Geradlinigkeit und Struktur, man könnte auch sagen „Normalität“, in unseren Alltag brachte, tanzt seither nach dem Takt des Virus. Arbeit und das kulturelle Leben finden mal hier, mal dort, in Maßen, oder gar nicht statt. Tradierte Festtage, Kitas, Schule, Universität und Sport, die festen Konstanten, die Fixpunkte, die unveränderlichen und gleichförmig wiederkehrenden Elemente des Systems, sie sind zu Variablen und prekären Unsicherheiten in einem stürmischen Meer der Zeit verkommen. Spätestens mit dem Lockdown 2.0, der die besinnliche Gemeinsamkeit der Weihnachtszeit gerade zur Unkenntlichkeit beschnitten hat, scheint eine für uns orientierbare Zeitlinie vollends zerfallen zu sein. Wenn wir also am heutigen Tage den kalendarischen Umbruch feiern, halten wir zwar an einer schönen Tradition fest, doch gleichzeitig wohnen wir lediglich der Illusion eines Neuanfangs bei, den wir überdeckt vom omnipräsenten Überbau des Infektionsreports kaum spüren werden.

Passend dazu wurde unser Gefühl und unsere Wahrnehmung von Zeit dieses Jahr auf kreative Art und Weise irritiert. Wer im Spätsommer nicht längst der Hysterie verfallen war und den solidarischen Gang an die Kinokassen wagte, durfte auf der großen Leinwand endlich wieder intelligente Blockbuster-Unterhaltung erleben. Christoper Nolans opulentes Actionspektakel „Tenet“ bildete einen der wenige Leuchttürme, die mir gleich zwei Kinobesuche wert waren - dem eigenen Verständnis um des Filmes willen konnte das ebenso wenig schaden wie der finanziellen Situation der Lichtspielhäuser.

Sicherlich ungewollt, aber aktueller hätte das neuste Machwerk des amerikanischen Regisseurs wohl kaum ausfallen können. Auf der Oberfläche dreht sich die Geschichte von „Tenet“ zwar relativ unoriginell in traditioneller James-Bond Manier um Geheimorganisationen, Weltuntergangswaffen und böse Russen, darunter findet sich mit dem Prinzip der invertierten Zeitverläufe allerdings ein einzigartiges, noch nie dagewesenes und fulminant umgesetztes Konzept, das brisante gesellschaftliche Fragen aufgreift und zur dehnbaren Interpretation einlädt. Zeit verläuft ineinander, die Zukunft greift die Gegenwart an und das Gegenwärtige kämpft plötzlich gegen die temporalen Folgen ihres eigenen Handelns an. Parallelen zum Voranschreiten der Pandemie liegen plötzlich brach und lassen sich auf leichtes mit unserer scheinbaren Ungewissheit verknüpfen. Von der Leinwand vorgeführt und aufgerüttelt, sehen wir uns selbst wie der Protagonist in „Tenet“ im täglichen Anlaufen gegen eine bedenkliche Entwicklung, deren Vorboten uns rückwirkend und längst erreicht haben. Vieles von dem, was über lang oder kurz prognostiziert, bzw. befürchtet wurde, ist in dieser Pandemie letztlich eingetreten und überraschte kaum mehr, als wäre die Zukunft unlängst geschehen. Und genauso unheilvoll strahlen die Geschehnisse des Jahres 2021 bereits zurück auf den heutigen Tag, als hätten sie bereits stattgefunden.    

„Tenet“ statuierte diesbezüglich ein ausgezeichnetes Exempel für die Kraft des Kinos und gab stellvertretend ein deutliches Statement ab, wonach Kunst und Kultur ihrem Wesen nach mehr als reine Unterhaltung zu verstehen sind. Sie sind immer ein Spiegel der Zeit, begleiten das historische Geschehen, bilden Veränderungen in der Gesellschaft ab, reagieren auf Entwicklungen und Diskurse, sowie den technischen Fortschritt und diskutieren in aktuellen Debatten mit. Nicht immer, aber in den besten Momenten erzeugen die Kulturschaffenden und Künstler solche Produkte und Werke, die wie in Nolans modernem Klassiker, einen wichtigen Kommentar beinhalten und den Rezipienten mit den Gedanken seiner eigenen Realität konfrontieren. Es ist daher geradezu eine Tragödie, dass eben jenes besondere Spektakel, welches noch auf Analogarbeit und Haptik setzte, dem Publikum eine originäre Erzählung lieferte und uns einen Hauch von Halt und Orientierung anbot, schließlich nicht im Stande war, den sterbenden Kinos einen hoffnungsvollen Aufwind zu verleihen und letztlich unter unsinnigen Vorbehalten und den Reglementierungen der Pandemiepolitik, keine Aussicht auf Erfolg fand. Eine verheerende Nachricht, die den ohnehin angeschlagenen Optimismus der Branche weiter zu schaffen machte.        


Hinsichtlich kulturellen Happenings bildete eines der wenigen Highlights in diesem Jahr außerdem ein Interview mit Visions-Redakteur Jan Schwarzkamp, welches ich für den Radiosender HORADS führen durfte und ich zu einem späteren Zeitpunkt noch verlinken werde, sobald es aus dem Schnittraum entlassen wird. Wir diskutierten damals im Rahmen der Musikszene die Frage, inwieweit die Stimmen der Betroffenen in dieser Zeit überhaupt Gehör finden und woher die teils völlig willkürlichen Einschränkungen der Eventbranche zu erklären seien. Einen Reim darauf konnten wir uns jedenfalls nicht machen. Ich merkte damals leise an, dass Kunst und Kultur zwar nicht systemrelevant seien, ihnen aber durchaus eine systemleitende Rolle zugesprochen werden kann. Und möglicherweise fehlte es zunächst an Selbstbewusstsein, sich dieser Verantwortung bewusst anzunehmen. Zwar sah man schlagenden Herzens die Alarmstufe-Rot Demo in Berlin, die ein oder andere Aktion vom Sterben und Bluten der Szene, „Die Ärzte“ in den Tagesthemen, aber von einem kollektiven Aufschrei war man noch weit entfernt. Obwohl nicht nur etliche anhängende Existenzen ihren Platz von heute auf demnächst fürchten müssen und das kulturelle Leben jeher in der Bewältigung von Trieben, wie auch in der Rolle als wesentlicher psychischer Stabilisator fungiert, fiel das Vertrauen in Corona-konforme Veranstaltungen und Erlebnisse völlig unter die Akzeptanzgrenze der agierenden Politiker. Die Shutdown-Entscheidungen im November, wonach die Infektionsgefahr insbesondere an solchen gemeinsamen Kulturstätten nicht zu verkraften seie, war schlussendlich nicht mehr wissenschaftlicher Evidenz begründet, sondern baute auf persönlichen Überzeugungen und Präferenzen. Wenn man in Notzeiten auf Abstriche machen muss, dann bitte bei Kunst, Kultur und im engeren Sinne die Gastronomie. Statt einem Leben mit dem Virus, wählte man also abermals den existenziellen Tod eines ganzen Teilsystems und seiner Akteure. Aus Sicht der Regierung sicherlich verständlich, denn gemein sind Kunst und Kultur ihre Rollen als größte Kritiker des Politischen. Ihr Fehlen und ihre stille Abwesenheit sind deswegen vielleicht symbolisch für ein Jahr, in dem Regierungstreue meines Erachtens viel zu groß geschrieben wurden. Wäre die Gesellschaft eine Gartenlandschaft, so sind Kunst und Kultur die unverkennbaren Rosen. Das Irritierende, das Spitze, die scharfen Dornen der Kunst- und Meinungsfreiheit, die die Augen verletzen, aber auch stets wissen, unsere Gedanken aufzurütteln, sie wurden in der Krise glimpflich vernachlässigt, zurückgebildet und ausgedörrt. Den Blick von der Schönheit ihrer Blüten wandte man kaltblütig ab, behandelte sie wie lästiges Unkraut und ihnen lebensermöglichendes Wasser zu spenden war den wenigsten ein vorderstes Ansinnen. Von da an verschwand ein bedeutsamer Teil unserer Sinne für die Schönheit des Lebens, die Kritik an der Wissenschaft und dem Gefühl des Miteinanders. Was uns von nun an auszeichnete, das musste sich in notwendiger Leistung bemessen. Nur das Notwendigste, die notwendigsten, minimalsten Bedürfnisse zählten jetzt noch - das Klopapier. Und der oberste Grundsatz lautete dementsprechend, das System darf unter keinen Umständen einbrechen – Systemrelevanz ist die Devise, auch wenn sie weiterhin seelenlos wie ein Uhrwerk dahintickt.  


Ökonomisch betrachtet sind die vergangenen Entwicklungen ebenfalls höchst bedenklich. Musste man sich als gestandener Künstler schon vor der Pandemie beispielsweise mit Streaming-Anbietern wie Spotify herumschlagen, welche Monopolist und schlechte Entlohnung für Musiker in einem verbinden, setzte die Krisenpolitik der Bundesregierung noch einen drauf. Man könnte meinen, der längst überflüssige Fokus auf Digitalisierung täte den vertanen Chancen der Vergangenheit gut und man könne sich endlich auf landesweite 5G-Netze, Glasfaser und Online-Unterricht freuen. Die Realität sah allerdings so aus, dass der vorangegangene Mangel an IT-Infrastruktur nun mit Angeboten von bereits existierenden Anbietern kompensiert wurde. Mit wenigen Ausnahmen, wie der deutschen Firma „Team-Viewer“, sind die meisten dieser Anbieter ausländische Konzerne, die in den letzten Jahren ohnehin die Spitze der Aktienkurse übernommen haben und sich dank Steueroasen und Marktmonopolismus irgendwie weiter durchschummeln. Und ausgerechnet diesen Firmen erweisen wir nun einen Bärendienst. Gab es vor Corona noch die Hoffnung für Künstler, zumindest einen Absatzmarkt für Konzerte oder andere Live-Veranstaltungen in Anspruch zu nehmen, brachen diese Einnahmemöglichkeiten nun vollends weg. Der Markt, und damit auch das Angebot, wurden so gesehen durch staatliche Interventionen weiter künstlich beschnitten und die Konsumenten alternativlos auf die digitalen Plattformen getrieben. Letzteres stärkt wiederum deren Position als Platzhirsche und damit auch Konditionen und Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber Künstlern, die in Krisenzeiten mehr denn je auf digitale Vertriebsmöglichkeiten angewiesen sind. Ein perfekter Sturm also.

Nicht zuletzt werden diesbezüglich jegliche ehrwürdigen Bestrebungen bombardiert, die es sich prä-Corona zur Aufgabe gemacht hatten, das Analoge als Gegentrend wieder aufleben zu lassen. Plattenläden, Larps, Escape-Rooms, Pen & Paper-Kreise oder Buchklubs sind da nur einige Betroffene, deren wichtigstes Charakteristikum, das nahbare Miteinander und Physische, nun endgültig als verwerflich abgetan wird. Die einzige Hoffnung, die ich mir davon versprechen möchte, liegt in einer ureigenen Sehnsucht, die vielleicht nach all der Deprivation an Analogkultur und nach der Zurücknahme der Maßnahmen, in einer vollständigen Entladung kulminiert. Anders gesprochen, vielleicht braucht es diesen Verzicht, um wieder zu verstehen, welchen Wert die gewelkten Rosen, die wir in ihren Farben und Formen doch eigentlich schätzen, für uns beherbergen.

Allerdings möchte ich auf der anderen Seite nicht ausschließen, dass ein Großteil der Menschen und darunter insbesondere Kinder und Jugendliche, welche während der Pandemie in einer Entwicklungsphase stecken, dagegen einen noch stärkeren Bezug zu digitalen Medien erhalten, als er ohnehin schon vorhanden scheint. Jugendzentren, Bandproben, gemeinsames Feiern sind tabu, aber der Drang den Kontakt zu Freunden aufrecht zu erhalten bleibt selbstverständlich bestehen. Und wer ermöglicht es, diesen Durst zu stillen ? Whats-App, Telegramm, Twitter, Facebook, Instagram und ihre weniger verbreiteten Konkurrenten. Die sozialen Medien, die nicht erst seit der Dokumentation „The Social Dilemma“ stark in der Kritik stehen, dass sie potenzielles Gift für die psychosoziale Gesundheit injizieren. Und die Befürchtung liegt hier nahe, parallel zu Corona ist eine ganz andere Pandemie auf dem Vormarsch.

Infodemie, Cancel Culture, Wände und ein Appell für freie Debattenräume

In vielerlei Hinsicht wirkte Corona 2020 wie ein Brennglas, das ohnehin prekäre Problemzustände unserer Gesellschaft nochmals deutlicher aufzeigte und unseren Blick weiter schärfte. Da wäre die verpatzte Beschäftigung mit den Herausforderungen der Digitalisierung, die gerechtere Entlohnung und Arbeitsgestaltung von systemrelevanten Berufen wie dem Pflegepersonal, Tönies dunkle Fabrik der Fleischmassenherstellung, die generelle Vitalität und Resilienz in der Bevölkerung, aber auch ein Mangel an vernünftiger Kommunikations- und Debattenkultur. Verlässt man die rein medizinisch, sachliche Thematik der Pandemie zugunsten einer Metaperspektive über den Informationsaustausch, kann an den beobachteten Phänomenen schnell festgestellt werden, dass wir dieses Jahr als Gesellschaft verstärkt zwischen dem Aufstieg von „Cancel Culture“, Filter-Blasen, Shitstorms und Empörungskultur waberten – von Verschwörungstheorien ganz zu schweigen.

Die schlimmste Aussage, die man von Regierungsseite dahingehend dieses Jahr vernehmen durfte, war die Aussage : „Vertrauen sie den Experten!“ Vermutlich ließe sich der gesamte Konflikt um Protestbewegungen und Ausschreitungen mehr oder weniger an dieser unscheinbar lapidaren Äußerung festmachen. Entscheidend für die Einschätzung einer solchen Unverschämtheit, die vielleicht von Wohlwollen und besten Absichten herrührt, ist der Hintergrund und Kontext, in dem dieser Satz von Menschen verstanden und empfunden werden darf. In einer liberalen Demokratie als paternalistischer Staat aufzutreten, Grundrechte in umfassenden Maße einzuschränken, gleichzeitig Menschen ihrer fehlenden Expertise wegen aus öffentlichen Debattenräumen herauszuhalten und im selben Moment an blindes Vertrauen zu appellieren, deutet nicht nur auf die Unfähigkeit zum Diskurs hin, sondern ist ein Anzeichen von hochnäsigem Elitendenken, welches alles andere als Vertrauen schaffen wird. Sicher, wir sind keine 80 Millionen Virologen und Drosten zählt zu den wenigen Prozent, die ihr Fach verstehen wie kein zweiter. Lustigerweise betonte er selbst jedoch im März, man dürfe keinesfalls auf ihn alleine hören, sondern müsse unterschiedliche Wissenschaftler, auch anderer Bereiche, befragen und zu Wort kommen lassen, denn die Komplexität erfordere es geradezu, dass einige wenige außerstande seien, die Fragen der bevorstehenden Herausforderung zu meistern. Es ist eben keine von einem Virus allein herrührende Normative, die unseren Weg durch die Krise bestimmt. Es gibt viele Wege und das größte Problem scheint ein bevormundendes Auftreten nach dem eine Gruppe von Besserwissern den einzigen Weg gefunden zu haben glaubt. Die Aussage von „vertrauen sie den Experten“ heißt im Volksmund übersetzt, man habe zu folgen, die Klappe zu halten und nicht nachzudenken. Nicht nur, dass dies als Versuch gewertet werden kann, den Bürgern ihre Mündigkeit abzusprechen und gegen die Prinzipien der Aufklärung spricht, es ist eine zutiefst unwissenschaftliche Haltung. Noch zu Beginn der Pandemie mussten wir erleben, wie sich die Erkenntnisse von Woche zu Woche verändert haben, weil dies die wissenschaftliche Vorgehensweise des Trial-and-Error-Suchens widerspiegelt. Und dieser sukzessive Erkenntnisgewinn, bezüglich Corona, aber auch im Generellen, rührt vor allem von gegensätzlichen Ergebnissen, Unvollständigkeit der Wissenschaft und widerlegbaren Thesen her. Ohne das Herbeiführen von Widersprüchen gegen das Bestehende wären wir gar nicht in der heutigen Lage, das Virus und die Politik drumherum vernünftig einordnen zu können. Wenn also jemand einer Meinung oder Erkenntnis aus eigener Überzeugung widerspricht, dann sollte er dies tun, angehört werden und seine Belege vorlegen dürfen, ungeachtet seines vorhandenen oder nicht vorhandenen Expertenstatus.

Und im Nachhinein musste dann selbst der unverbesserliche Minister Spahn zugeben, mit dem Wissen von heute hätte man die Schulen und Kitas vermutlich nicht geschlossen. Interessant ist das deshalb, da es einen Zeitraum gab, in dem man in Journalistenrunden vor der Bundespressekonferenz sich tatsächlich eher nach der Situation der Fußball-Bundesliga erkundigte, die Öffnung der Bildungseinrichtungen aber vergebens auf der Tagesordnung suchte. Oder um es mit den Worten von Philosophin Svenja Flaßpöhler zu sagen, es war ein zeitweises Armutszeugnis für dieses Land.       

Unglücklich, ärgerlich, in jedem Falle aber problematisch war die Medienberichterstattung in diesem Zusammenhang. War Drosten und sein Podcast ein Lichtblick, wie man Wissenschaft unter die breite Öffentlichkeit bringen kann, hat das öffentlich-rechtliche Spektrum insgesamt viel zu lange dramatisiert und die Chance versäumt kritische Debatten und Berichte auf die Beine zu stellen. Statt Aufklärung ala Drosten verfiel man größtenteils in einen alten Konservatismus, der auf Panikmache statt Vernunft setzte. Es wäre die Möglichkeit gewesen, Wissenschaft einem breiteren Publikum bekannt zu machen, Vorlesungen und Vorträge von Professoren zu streamen, das Ganze Thema einmal wirklich in den Grundlagen zu behandeln, mindestens aber Kritiker und Befürworter zusammenzubringen, um spannende und entwaffnende Diskussionen zu schaffen, in denen sich auch Gegner und Andersdenkende abgebildet wiederfinden würden. All das ist nicht geschehen. Stattdessen nutzte man die Gunst der Stunde die Schlagzeilengeilen zu befriedigen und arbeitete sich lieber an Menschen ab, deren letzte Möglichkeit der Aufmerksamkeitsbeschaffung darin bestand, auf die Straße zu gehen und ihren Unmut in Demonstrationen kund zu tun.

Die im Übrigen stückweise Verlogenheit mancher Medien sah man ganz gut an zwei Entwicklungen. Erstens, am Umschwung der Berichterstattung und den Stimmen, die mittlerweile härter und kritischer mit dem politischen Kurs ins Gericht ziehen und zweitens, die nahezu unkritische Darstellung der „Black-Lives-Matter“-Demos. Versteht mich nicht falsch. Es geht nicht darum, die einen Demos als schlecht und die anderen als gut zu brandmarken. Beide haben und hatten ihre Berechtigung. Es ist nur auffallend, dass viele Medien eben genau eine solche Moralisierung ganz bewusst vorantrieben. Natürlich gibt es die Rechten, die sich bei den Querdenkern untermischen. Natürlich gibt es die Verschwörungstheoretiker und Q-Anon-Anhänger; und es gibt diejenigen, die keine Ahnung von dem ganzen Thema besitzen und wildes esoterisches Gebabbel von sich geben. Allerdings sind all diese Charakteristiken keine triftigen Gründe dafür, sich nicht mit vernünftigen, kritischen Positionen und den Problemen der Menschen auseinanderzusetzen. Und die gab es durchaus. Das hätte man der Demokratie und Aufklärung willen rechtzeitig in Angriff nehmen können, aber der ganze Circus war den Medien offensichtlich zu bunt und hat jene derart farbenblind gemacht, wonach man nur noch für schwarze Schafe empfänglich war. In der Folge präsentierte man sich lieber als moralisch überlegen, führte die Menschen ihrer Dummheit vor und stellte sie in eine Ecke. Seltsam, bei den „Black…“-Demos genügte es einen Platz voller schweigender Menschen zu zeigen. Nur einige wenige wie Karl Lauterbach äußerten diesbezüglich dann auch ihre Bedenken bei einer so großen Ansammlung von Menschen, welche in ihren eigenen Reihen ebenfalls gegen die Hygienemaßnahmen verstoßen haben. Insgesamt war der Ton in den Medien jedoch vergleichsweise leise und zurückhaltend. Es lebe die Doppelmoral.

Bevor ich hier jedoch als Anhänger und Querdenker im Sinne von „711“ gebrandmarkt werde, sei gesagt, dass ich ebenfalls harsche Kritik an der Bewegung habe. Unter anderem hat man versäumt, sich rechtzeitig von bescheuerten Kults und rechtsextremen Positionen zu distanzieren, was es zunehmend schwieriger machte als ernste Protestbewegung wahrgenommen zu werden. Zusätzlich bediente man sich rhetorisch aus der untersten Schublade der eigenen Feindbilder, indem man immer wieder die alte Leier der Lügenpresse und Diktatur herunterpredigte. Hätte man den Fokus zur Abwechslung mal auf existente, wissenschaftliche Studien und Befunde gelegt, anstatt sich von Emotionen, Verdachts- und Bauchgefühlen leiten zu lassen, wäre den Öffentlichen weniger Angriffsfläche geboten. Dass man dagegen lieber manisch an den Lippen von Kultfiguren klebte, die häufig Irreführungen und Falschbehauptungen aufstellten, ohne auch nur einmal Skepsis an der eigenen Bewegung zu äußern, ist von einer Gruppe, die sich selbst „Querdenken“ nennt, Realsatire der feinsten und unterhaltsamsten Art. Schon komisch, da misstrauen, ähm … „hinterfragen“ die alles und jeden, aber nie sich selbst. Damit steht man dann auch erfolgreich quer zum Mainstream, nur das Denken bleibt irgendwo auf der Strecke. So wird man nun auf ewig als seltsam inhomogene Schwurbler-Versammlung und Fall für den Verfassungsschutz abgestempelt bleiben. Im Nachhinein eigentlich schade, denn keine Anerkennung dafür zu ernten, dass man bereits früh berechtigte Kritik an den Maßnahmen geäußert hatte und letztlich für eine Debatte um Grundrechte eintrat, hätte durchaus einen Applaus verdient gehabt. 

Wenn wir dieser Tage dann auch von der Spaltung des Landes lesen, dann sollte man nicht vergessen, dass die Medien (soziale, alternative, wie öffentlich-rechtliche) ein oft unterschätzten Anteil an dieser Polarisierung tragen. Eine Spaltung bedeutet vor allem, eine Kluft und zwei sich gegenüberliegende Seiten. Vielleicht ist es nicht ganz so dramatisch, wie die sinnbildliche Vorstellung, aber metaphorisch betrachtet passt das Bild, dass die Mitte mehr und mehr zum luftleeren Raum verkommen ist. Annäherungsversuche und gemeinsame Diskussionen, die nicht auf die Verwendung von diffamierenden Kampfbegriffen hinauslaufen sollten, gab es dieses Jahr einfach zu wenige. In dieser Hinsicht ist die Spaltung und der Riss durch die Gesellschaft in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Einerseits zeichnet sich die fehlende Mitte als Debattenraum aus und andererseits in einer gedanklichen Position, nach der man beiderseits Schritte von der eigenen Extremposition aus gen Kontraposition unternimmt.     

Klar gibt es dabei Grenzen, aber die Spaltung des Landes ist nicht immer an der Linie einer rechtsradikal, verschwörerischen Gegenhaltung zu markieren, sondern auch ganz simpel, eine andere Meinung, die nur nicht gerne gehört wird, weil sie von der eigenen abweicht. Die häufigste Floskel, die ich wohl in der Corona-Krise hören musste,  „wir haben verlernt einander zuzuhören“, ist in vielen Teilen wahr. Man könnte aber noch hinzufügen, wir haben verlernt miteinander zu reden und in öffentlichen Räumen als Vorbildfunktionen für kommunikatives Miteinander zu agieren. Und mit „wir“ meine ich nahezu alle. Allerdings war dies schon vor der Krise eine Tendenz, die sich bereits lange abgezeichnet hat und wo das Corona-Brennglas letztlich intensiv drüber gehalten wird. Die Filter-Bubble, bekannt als Phänomen aus sozialen Medien und Synonym für eine selbstverschuldete Abschottung, hat sich nun auch im Raum manifestiert und erhält nun zusätzliche Unterstützung durch die räumliche Auftrennung der physischen Welt, so dass es die echten Wände sind, die zwischen den Menschen verlaufen. Die gegenwärtige Angst vor der Ansteckung ist dahingehend nicht allein eine im biologischen Sinne geartete, sondern darüber hinaus wohl auch eine psychologische, die andere Meinung könne einen gar penetrieren und infizieren.

Kontraindikative Gesundheitspolitik und Virokratie 

Vielleicht kennt der ein oder andere die sogenannten Kaspar-Hauser Versuche, in denen das Verhalten von Lebewesen untersucht wird, indem man ihnen gewisse Erfahrungsmöglichkeiten vorenthält. Derartige Experimente, die man an Rhesusaffen durchgeführt hat und der Legende nach auch an Säuglingen, gelten als ethisch kaum vertretbar, bzw. inhuman. Was passiert beispielsweise, wenn Kinder ohne Sprache aufgezogen werden, oder sie ohne Eltern aufwachsen ? Frühgeborene sollen dahingehend ohne die Bindung zu ihrer Mutter und jeglichen zwischenmenschlichen Kontakt angeblich nicht überlebensfähig sein. Die Bestrebung dies in Realversuchen zu untersuchen, will auch niemand aus guten Gründen weiter verfolgen. Es reicht, dass bereits eine Erkenntnis da ist, inwieweit menschliche Kontakte und insbesondere das Urvertrauen zur Mutter entscheidend für die Entwicklung von Kindern sind. Die künstliche Isolation, derer wir nun seit längerer Zeit ausgesetzt werden, die uns von Angehörigen und Freunden fernhält, gleicht einem solchen Experiment. Sicher, darin steckt eine gewisse Polemik meinerseits, die ich im Traum nicht leugnen möchte. Man kann aber ebenso nicht leugnen, dass der gegenseitig entfremdende Dauerzustand schwere psychische und soziale Folgen nach sich ziehen kann, deren Wirkung wir vielleicht erst noch zu spüren bekommen werden. Wie problematisch die Situation mitunter jetzt schon ist, dazu erschienen bereits (bzw. endlich) erste Studien, die die Ausmaße dieser inhumanen Politik einfangen und abbilden.   

Gewiss, der erste Lockdown im März kann noch als möglicherweise überlange Vorsichtsmaßnahme betrachtet werden, in der die akute Notlage behandelt werden musste. Ich selbst habe mich damals wohlwollend geäußert, unter der Prämisse, dass man die Entwicklung der Pandemie und die Erforschung des Virus abwarten müsse, um bei Zeit einen angemessenen Umgang damit zu finden. Und hier trennen sich dann möglicherweise die Meinungen, wie die Spreu vom Weizen. Anders als von offizieller Seite verkündigt, habe ich nicht das Gefühl, man hätte aus der eigens herbeigeführten Situation irgendetwas gelernt, was einen einklangvollen Mittelweg zwischen Virus-Bekämpfung und Lebensalltag begünstigt. Entgegen der Meinung von Experten(!) hat man weitere harte Lockdown-Maßnahmen beschlossen, die insbesondere anhand der Gesamtzahl der gemeldeten Fälle festgemacht wird. Wohlgemerkt, gemeldete Fälle! Dass von Tausenden die meisten symptomlos sind oder gut überstanden werden, spielt hier offensichtlich keine Rolle. Sicher, jeder einzelne Todesfall aufgrund von COVID-19 ist tragisch und das Virus ist nicht ungefährlich für einen gewissen Teil der Bevölkerung, nämlich für die Risikogruppe, welche sich aus Alten und Vorerkrankten zusammensetzt; meist bedingt das eine das andere. Daraus jedoch eine allgemeine Norm für das gesellschaftliche Leben aller abzuleiten, ist ein naturalistischer Fehlschluss, der seinesgleichen sucht und wo meines Erachtens die Politik weitgehend versagt. Die Bedrohung durch einen neuen Erreger und die in der Folge beschlossenen Maßnahmen sind zwei paar verschiedene Schuhe und stehen erst recht nicht in einer Kausalbeziehung. Die Entscheidungen müssen stets einer Legitimation unterzogen werden und transparent sein. Immer wieder geht es nämlich um die Frage, welche Maßnahmen sind als verhältnismäßige Mittel zu betrachten, um diesem Virus etwas entgegenzusetzen? Dies ist ganz simpel die Frage, wenn sich der Staat die Freiheit herausnimmt, Grundrechte einzuschränken. Und diese Restriktionen wollen gut begründet werden, da sie erhebliche Freiheitseinbußen mit sich ziehen. Dem entgegen sehen wir uns im Alltag mit Regelungen konfrontiert, die teils jeglicher Logik widersprechen und wo wir uns fragen, regieren hier die Politiker, oder doch Willkür, Angst und Ahnungslosigkeit ?

Der Neurowissenschaftler und Hirnforscher Manfred Spitzer veröffentlichte zuletzt ein Buch, welches Einsamkeit als eine der gefährlichsten Krankheiten unserer Zivilgesellschaft kennzeichnet. Menschen, die sich einsam fühlen, denen die Nähe zu geliebten Personen chronisch fehlt, sind demnach zumeist stark vulnerabel. Ihr Immunsystem leidet unter permanenter Belastung von Stress und Bluthochdruck, was in Kombination mit anderen Vorbelastungen zur Todesursache emporsteigen kann. Zwar muss hier ausdrücklich erwähnt werden, dass soziale Isolation und Einsamkeit nicht ein und dasselbe sind, allerdings ist nahezu unbestreitbar, dass die einschränkenden Maßnahmen die potenzielle Vereinsamung und Distanzierung geradezu befeuern. Man denke hier bitte an Senioren in Pflegeheimen, die keinen Besuch mehr empfangen durften. Ausgerechnet diejenige Gruppe, die ohnehin schon pathologisch zur Risikogruppe zählt, lastet man nun zusätzlichen Stress auf. Das Heim, in dem meine Oma zuletzt während der Pandemie verstorben ist (weder an, noch mit Corona), verbiete es sich doch bitte, dass die Senioren Waldspaziergänge unternehmen, weder in Begleitung, noch alleine. Die Gefahr sei schließlich zu groß. Wie in einem Gefängnis mussten die Bewohner daher abgeschottet von der Außenwelt ihre Runden auf einem kleinen Innenhof drehen.

Die Gesundheitswissenschaft der letzten Jahre hat eine überschwängliche Menge an Arbeiten zu Sozialisationskrankheiten publiziert. Die Befunde, egal ob aus Bereichen der Neurowissenschaften, Sportwissenschaft oder Public-Health, vermitteln stets einen Konsens, der dahingehend ein Mindestmaß an täglicher, körperlicher Aktivität empfiehlt; unabhängig vom Alter und Geschlecht. Übrigens empfiehlt die WHO selbst dieses Mindestmaß an Bewegung ! Sind die nicht eigentlich ein dieser Experteninstitutionen, auf die man in der Pandemie hören sollte ? Was machen unsere lieben Politiker ? Sportstätten, Hallen, Bäder und Fitnessstudios werden geschlossen und man empfiehlt möglichst Zuhause zu bleiben. Ich frage mich, wo blieb die Aufklärung der Sportmediziner ? Wo blieb der Apell, der ein Höchstmaß an körperlicher Aktivität empfahl und die Benefits des Sports ausrief ? Gerade jetzt wäre die Zeit für eine bundesweite Kampagne dringender denn je gewesen. (Vielleicht so etwas wie „Trimm-dich-und-Corona-fickt-sich…“) Eine Welle der Selbstwirksamkeit hätte durch das Land gehen müssen, um das Immunsystem zu stählern. Aber biopsychosoziale Gesundheit scheint offensichtlich ein Fremdwort zu sein. Die oberste Dreistigkeit, die dem eindimensionalen Gesundheitsbegriff jedoch die Krone aufsetzte, bildete obendrein ein Werbespot, der propagierte, die wahren Helden seien heute Akteure, die nichts tun - also Inaktive. Diejenigen, die es sich leisten können auf dem Sofa zu sitzen und ununterbrochen Medien zu konsumieren. Es sei denn man zählt zu den systemrelevanten Berufen - dann bitte schön weiterarbeiten. Und es sei denn man studiert - dann bitteschön weiterstudieren. Das ist das Kleingedruckte, welches im Spot gern unterschlagen wird. Ein anderer Spot, ebenfalls von der Regierung in Auftrag gegeben, richtete sich speziell an die Gamer, die Videospieler. Eigentlich will ich dieses Stück unsäglicher Heuchlerei gar nicht beschreiben, weil es mir ehrlich gesagt zu blöde ist. Aber wie unsagbar verlogen kann man nur sein ? Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hat man sich von Regierungsseite quergestellt gegen nahezu alles, was diese Szene im Herzen auszeichnete. Nicht nur, dass die Politik generell wenig bekannt dafür ist, Interesse gegenüber Gamern zu offenbaren - es sei denn man kann die Gunst der Stunde nutzen und zu Gamescom-Zeiten Wahlwerbung machen oder Wirtschaft und Technologien ankurbeln - nein, man wird nicht müde, die immer selben Klischees zu reproduzieren und noch schlimmer, diese nun im Kern ernsthaften und teils schwerfälligen Probleme wie Weltenflucht, soziale Isolation, Sucht und ungesunde Ernährung, ins komplette Gegenteil zu verkehren, dass man durch ein solches Verhalten nun Menschenleben retten könne. Je mehr ich mir über diese Videos Gedanken gemacht habe, desto eher bin ich zur Erkenntnis gelangt, man müsse jeden, der sich da verantwortlich zeichnet, in eine Reihe stellen, teeren, federn und die Scheiße aus ihnen rausprügeln! […] ok, sorry, vielleicht etwas übertrieben, aber wer beleidigt ist har in diesem Fall recht.

In einem früheren Blog-Artikel habe ich bereits über die Leiden im Studium - von meiner Seite – geschrieben. Bereits vor der Pandemie sah es da alles andere als rosig aus, weil die Gesamtanforderungen einen täglich an die Belastungsgrenze treiben. Arbeiten unter der Woche, an beiden Wochenendtagen und wöchentliche Abgaben mit scharfen Fristen, die zusätzlichen Leistungsdruck abverlangen. Die wenigen Lichtblicke, die notwendig waren sich vom Stress zu befreien und ihn zu kompensieren, die darin bestanden, sich mit Freunden auszutauschen, gemeinsam zu essen und noch nicht einmal das Feiern beinhalten, sind weggebrochen und werden jetzt als unverantwortlich angesehen. Ergänzend wird man weiter um seinen Job beraubt, der zur wesentlichen Existenz beiträgt. Laut dem medialen Müll der Bundesregierung sind es insbesondere die jungen Studenten, die es sich angeblich leisten können, ein Chillout-Leben in der heimischen „Wohnung“ führen zu können, weil Studieren offensichtlich nicht gleich Arbeiten ist. Bullshit. „Wohnung“ sei hier übrigens in Anführungszeichen geführt, da viele Studenten immer noch in überteuerten zwölf-Quadratmeter-Zimmern leben. Und wie finanziert man sich die ? Entweder durch reiche Eltern oder durch stupide, schlecht bezahlte Nebenjobs. Geld als Schadensersatz gibt es dafür nur unzureichend und nur für die, die gerade kurz vorm Kollaps stehen. Überhaupt, was will ich mit einer kurzen Finanzspritze? Ich möchte soziale Kontakte. Ich will Menschen treffen und sie umarmen dürfen. Wird das von der Bundesregierung auch durch Zusatzleistungen kompensiert ? Wie lautet es da nochmal im Werbespot ? All das benötigt man nicht, denn die wahren Helden sind zuhause geblieben und der Fernseher ist dein wichtigster Freund. Embrace the new normal.

In einem Podcast von Serdar Somuncu und Florian Schröder habe ich zum aller ersten Mal eine ehrliche, pointierte Bemerkung zu möglichen Langzeitfolgen des Lockdowns, bzw. der Hygienemaßnahmen aufgeschnappt. Eine der schlimmsten Befürchtungen, die im Hinblick auf die Pandemie unserer Gesellschaft angetan werden kann, ist ein dauerhafter Umschwung in unseren Gewohnheiten. Und hier beziehe ich mich auf Gewohnheiten als Verhaltensweisen, die uns derweil kontinuierlich vermittelt werden. „Halte Abstand. Komme mir nicht zu nahe. Trage deine Maske. Halte dich an die Regeln. Die Gefahr ist omnipräsent.“ Wie schlimm diese ständige Paranoia ist, beschreiben die beiden Podcaster stellvertretend für all jene, die ähnliche Erfahrungen gesammelt haben; eine unterschwellige Stimmungslage in der BRD. Eine Atmosphäre, in der Menschen bösartige Blicke an jene verteilen, die sich draußen dem Tragen einer Maske verweigern oder sich zu nahe kommen. Es ist beängstigend, wie innerhalb weniger Monate die Akzeptanz gegenüber den Grundgesetz einschränkenden Maßnahmen, zu angeblich allgemeinem Konsens geworden ist. Weil es da diese eine Gefahr gibt, die vermeintlich nichts anderes zulasse. Gleichsam ermutigt man die Bürger, dass es in Ordnung sei, sich gegenseitig zu Denunzieren und anonym Leute anzuzeigen, die gegen die geltenden Maßnahmen verstoßen. Die Stadt Essen hatte hier extra eine Webseite mit Formular zur Verfügung gestellt. Man stelle sich nur vor, jeder der in Zukunft bei Rot über eine Ampel geht oder auf der Autobahn zu schnell fährt, würde unmittelbar von seinen Mitmenschen angezeigt werden. Ich möchte eigentlich keine billige Rhetorik in diesem Zusammenhang verwenden, aber wer hier zumindest nicht ansatzweise Parallelen in Richtung der DDR ziehen möchte, der sollte vielleicht wirklich mal ein Buch in die Hand nehmen.

Und wenn wir schon dabei sind. Wie sieht denn die nahe Zukunft aus ? Wenn diese Gefahr so schlimm ist, wie sie uns derzeit präsentiert wird, werden dann bald die Immunitätsausweise kommen ? Eine Impflicht, die soll es für die Bevölkerung nicht geben, laut Regierung. Aber das Arbeiten in gewissen Berufen, die die menschliche Nähe auszeichnet und nahezu alle Aktivitäten, welche derweil unter Vorbehalt potenzieller Infektionsübertragung gestrichen wurden, könnten gefüttert von Angst oder gar durch gesetzliche Vorschrift, bald nur noch einen exklusiven Zugang für diejenigen bereithalten, die sich impfen lassen, bzw. negativ getestet werden. Und dies ist keine Spekulation oder hypothetische Debatte, sondern Gegenwartsthematik und ein Zukunftsszenario, das uns entgegenläuft – Tenet lässt grüßen. 

Dass es andere Wege gab und gibt, dem Virus entgegenzutreten, stellte Bürgermeister Boris Palmer unter Beweis. Für Tübingen legte er ein strategischeres Kalkül als die gefürchtete Lockdownpolitik an den Tag, welches man unter Schutz der Risikogruppe subsumieren könnte. Auf Kosten der Stadt besorgte man unter anderem zahlreiche Schnelltests und rollte diese in Windeseile über die Alten- und Pflegeheime aus, um die Gefahrenlage in der Fläche zu detektieren. Gleichzeitig sorgte man für weitere pointiere Vorsichtsmaßnahmen, wie eine Art Shuttleservice, bei dem sich ältere Menschen vergünstigt ein Taxi anstatt einem Busticket leisten konnten. Die Folge davon, die Risikogruppe sah sich nicht dem Zwang ausgesetzt neben anderen Bazillenschleudern in überfüllten Bussen Platz nehmen zu müssen und konnte sich geschützt und bequem kutschieren lassen. Ein weiterer positiver Effekt : Taxifahrer, denen aufgrund der eingeschränkten Event- und Tourismusbranche die Kundschaft zunächst wegbrach, hatten nun wieder Aufträge, sich über Wasser halten zu können.

Palmer wird den ein oder anderen möglicherweise noch vage im Gedächtnis geblieben sein für seine scharfe Aussage, man rette durch die Maßnahmen wahrscheinlich Menschen, die sowieso bald sterben würden. Natürlich riss man diesen Satz wie so oft völlig aus dem Kontext, wodurch er prompt einen ordentlichen Shitstorm für seine ach so herzlose Art kassierte. Dabei war sein wesentlicher Gedanke alles andere als inhuman. Im Gegensatz zu den hoch emotionalisierten und politisch korrekten Aussagen anderer Politiker, betonte er lediglich, man müsse einen Risiko-differenzierten Weg finden, der eben nicht die Gesundheit und das Leben eines Einzelnen über alles andere stellte. Stattdessen benötigten Menschen eines höheren Risikos eben auch einen höheren Schutz. In gewisser Weise war seine Argumentation sogar „gesünder“ im Vergleich mit der offiziell gefahrenen Strategie, da er Nebenwirkungen und Schäden der Shutdownpolitik sorgfältig einkalkulierte und abwog. Besserwisser und Panikmacher Lauterbach schüttelte bei Lanz dagegen nur den Kopf und entgegnete, man könne die Risikogruppe doch nicht isolieren. Verfolgt man die Twitter-Laufbahn des SPD-Mannes, dann liegt dessen Idealvorstellung bezüglich pandemiegetriebener Gesundheitspolitik wohl eben darin, möglichst alle Zuhause einzusperren. Als Palmers kommunalpolitischer Plan Ende dieses Jahres wundersame Früchte trug, ruderte man schließlich nochmal zurück und ließ ihn in einer Talkshow abermals zu Wort kommen. Denn, die Infektions- und Todesrate in Tübingen war zuletzt stark zurückgegangen und wies eine vorbildliche Bilanz auf. Für ein bundesweites Umdenken kam das jedoch zu spät. Aber vielleicht hätte man ja schon früher den Tübinger Weg ernst nehmen sollen, anstatt Herrn Palmer auszubuhen. Dafür hat uns die Kanzlerin immerhin nochmal erste Nachhilfe in Mathematik gegeben und zu Weihnachten ganz emotional an unsere Verantwortung appelliert.   

Abschließend kann ich noch anmerken, wer von sich aus wollte und wem es gelang jegliche Ängste um finanzielle und gesundheitliche Sicherheit beiseite zu schieben, hatte dieses Jahr die Möglichkeit Selbstverwirklichungsarbeit zu leisten, seinen Besinnungsaufsatz zu schreiben, sich im Umgang mit einem Musikinstrument zu schulen, sich weiterzubilden und das Home-office lieben oder hassen zu lernen. Überhaupt, das Lernen am Ereignis Corona kann groß geschrieben werden. Möchte man dem Jahr der Pandemie etwas zugutehalten, dann, dass es ein aberwitziges, sich selbstschreibendes Buch gefüllt hat, an dem sich Wissenschaftler und Persönlichkeiten sämtlicher Couleur in noch viel mehr Büchern, Bänden und Dissertationen abarbeiten können und werden. Meine Befürchtung ist allerdings, dieser Erkenntnisgewinn wird wie so oft für einzelne gelten, die es sich leisten können, aber benötigen würde es einmal die Gesellschaft als Ganzes. Corona war in keiner Weise fair zu uns. Es kam und schnappte sich die ohnehin Schwachen und trennte zwischen Krisengewinnern und -verlierern. Was wäre also wünschenswerter, als dass die Lehren aus diesem Jahr nicht nur implizites Gut für das eigene Selbstwohl blieben, sondern in Taten Umsetzung fänden, die der Allgemeinheit der Verlierer dienten. Am besten sofort. In diesem Sinne, ich wünsche euch kein frohes neues Jahr, sondern fordere ganz ungeniert : Lasst uns am Vergangenen lernen!  

 

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