Mich faszinieren an unserer gegenwärtigen Situation vor allem
die Phänomene, die sich dieser Tage landesweit entwickeln. Neben den offenen -
und stellenweise in Vergessenheit geratenen – Solidaritätsbekundungen, sowie
dem Gemeinwohl zu Gute kommenden Aktionismus, bringt die Krise allerdings auch
Versäumnisse und Schwächen unserer Gesellschaft ans Tageslicht. Am Meisten
entsetzt mich dabei die fehlende Kompetenz bezüglich des Umgangs mit Medien und
deren Informationsgehalt. Nie zuvor besaß das Digitale einen triftigeren Gebrauchscharakter
als zur jetzigen Zeit. Es ist daher nur folgerichtig, dass viele Menschen, die
den Zugang zum Internet bisher nur spärlich beanspruchten, nun die Vorzüge für
sich entdecken, etwa die Telekommunikation mit Verwandten, Lernportale zur
Weiterbildung oder Unterhaltungsangebote in Form von Streaming-Anbietern. Gleichzeitig
droht diesen Menschen eine Fülle an Gefahren im Netz anzutreffen. Damit seien hier
nicht Phishing-Mails und Hacker-Angriffe gemeint, sondern konkret, Theorien,
die von Desinformation, Negation und Sensation leben, sogenannte Verschwörungstheorien.
Mir ist es ein großes Anliegen darüber zu schreiben, denn
bisher war ich stets der Überzeugung, Deutschland sei auch Akademikerland und die
meisten Menschen besäßen doch Vernunft genug, absurde Theorien und von Fakten
gestützte Plausibilität sorgfältig voneinander zu trennen. Doch in vergangener
Zeit musste ich bestürzt feststellen, wie nicht nur im entfernten, sondern auch
im näheren Verwandtenkreis, immer häufiger Videos und Meinungen kursierten, die
davon handelten, wir seien alle Teil einer großen Verschwörung. Darunter Behauptungen,
das Virus sei speziell als biologische Kampfwaffe herangezüchtet worden, oder
die geregelten Maßnahmen der Freiheitseinschränkungen geschähen nur unter dem
Vorwand einer totalitären Machtübernahme, oder die Wirtschaft müsse mal wieder
neu gestartet werden, oder die gesamte Lage wäre ein geplantes soziales
Experiment, um unser Verhalten in Krisenzeiten auszutesten. Wobei ich letzterem
sogar in gewisser Weise zustimmen würde, mit dem geringen Unterschied, dass dem
keine wissentliche Planung innewohnt. Und noch während ich diese Zeilen
verfasse, findet parallel eine Diskussion über den Einsatz einer App statt, die
das Nachverfolgen von Infektionsketten vereinfachen soll, was den einzigen
Schluss zulässt, dass wir auf einen Überwachungsstaat zusteuern und der
Bevölkerung bald eine totale Ausspionierung bevorsteht. Als Studierter, der
sich nahezu täglich mit Medien, Logik, Statistik und dem kritischen Begutachten
von Quellen auseinandersetzt, neigt man dazu über diese Unhaltbarkeiten zu
lachen. Das Lachen verstummt schnell, schaut man auf die Klickzahlen unter den
Videos, die die Millionengrenze sprengen. Auch die Kommentarsektion macht dabei
wenig Hoffnung. Dort fallen Sätze, die sinngemäß lauten : ,,Ich wusste es, wir
werden alle vera*****.“ , oder ,,Dieses Land ist dem Untergang geweiht.“ Hört
man ähnliche Formulierungen dann im familiären Umfeld, weiß der Aufklärer, dass
Arbeit auf ihn wartet. Denn meine Erfahrung sagt mir, Kopfschütteln alleine
hilft nicht dagegen.
Ich möchte auf keinen Fall falsch verstanden werden. An
vorderster Stelle ist es wichtig zu betonen, dass per se die Kritik an den
Grundgesetz reglementierenden Maßnahmen, also dem Umgang der Politik mit dem
Virus, sowie Kritik am System, erstens legitim und zweitens unabdingbar wichtig
sind. Die Sorge, die ich hier äußern möchte, bezieht sich eher auf eine Weise
der Leichtgläubigkeit, der gefährlichen Verharmlosung und Indoktrinierung, die
potenziell von diesen Theorien ausgeht. Einige Anhänger der Theorien sind mit
Sicherheit lediglich schlau-böse Schelme, die sich einen Spaß am Absurden
abgewinnen können und wissen, dass dahinter nicht viel Wahrheit steckt. Doch
eine weitere Anhängerschaft nimmt diese populistischen Äußerungen bierernst. Und
ein weiterer Teil ist unentschlossen. Die Gründe, weshalb solche Gedanken
Hochkonjunktur besitzen und sie von vielen womöglich als ausreichenden
Erklärungsansatz dienen, möchte ich versuchen aus meiner Sicht kurz und
prägnant zu erläutern.
Die Krise, die uns nahezu unvorbereitet getroffen hat,
empfinden wir Menschen als etwas Surreales und nicht, oder nur schwer
Greifbares. Schon der Französische Philosoph und Schriftsteller Albert Camus
beschreibt dies in seinem – äußerst lesenswerten und brandaktuellen – Roman die Pest aus dem Jahr 1947. Camus
schreibt : Plagen sind ja etwas Häufiges, aber es ist schwer, an Plagen zu
glauben, wenn sie über einen hereinbrechen. Es hat auf der Welt genauso viele
Pestepidemien gegeben wie Kriege. Und doch treffen Pest und Krieg die Menschen
immer unvorbereitet. […]
Sie glaubten nicht an
die Plagen. Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten, daher sagt man
sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird.
Während es gleichermaßen schwer fällt diese neue Realität zu
akzeptieren, sucht der Mensch nach Gründen, die die Zerstörung seiner
Gewohnheiten und die plötzliche Distanz zu den Mitmenschen rechtfertigen
können. Denn um noch einen anderen Philosophen zu zitieren : Es sind nicht die Dinge selbst, die uns
beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen
(Epiktet). Unser Verstand gerät noch tiefer in Angst, gelingt es ihm etwa nicht
diese plötzlichen, tiefgreifenden Veränderungen in einen sinnvollen Kontext
einzuordnen und die Ursachen dessen zu ergründen und zu verstehen. Das einzige Gefühl,
was für uns also noch schlimmer ist, als ein falsches oder verzerrtes Weltbild
bei sich vorzufinden, ist mitunter feststellen zu müssen, in diesem Moment einen unzureichenden Wissensvorrat zu besitzen; erst recht in dem
vorherrschenden Chaos. Solche Gefühle, gewissermaßen die Angst vor dem
Unbekannten, sind zunächst vollkommen natürlich und hören wir daher auch öfters
im Alltag oder in der Fernsehberichterstattung. Man achte hierbei besonders auf
Sätze wie „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“, ,,Das ganze ist für mich
unbegreiflich.“ , oder schlicht ,,Das ist doch Wahnsinn.“
Das Suchen nach Halt und einem Ausweg aus der Krise, die dahingehend
eigentlich eine persönliche Gewissenskrise bildet und sich von Ungewissheit
speist, führt zu dem bewussten oder unbewussten Schritt der
Informationsbeschaffung. Wir wollen nach dem - möglicherweise immer noch
anhaltenden - Schock herausfinden, was es mit all dem auf sich hat. An dieser
Stelle wird das Problem der fehlenden Kompetenzen offenkundig. Schnell müssen
manche Leute feststellen, dass sie selbst weder ausreichend Ahnung von Medizin,
noch von Medien, noch von Politik oder Mathematik haben und bei ihnen womöglich
auch eine gewisse Phantasielosigkeit ausgeprägt ist, um den unsichtbaren Feind
zu sehen. Dabei möchte ich niemandem einen Vorwurf der Bildungsferne entgegenwerfen,
oder die Menschen schlichtweg als dumm diffamieren. Das Thema gestaltet sich
schließlich so komplex, dass selbst erfahrene Virologen, Mediziner und
Politiker einen Lernprozess im Umgang mit dem Virus durchlaufen. Auch sie sind
nicht mit Allwissenheit gewappnet. Und genau hier greift die Problematik der
Verschwörungstheorien. Denn im Gegensatz zu den Experten und Wissenschaftlern,
die sich zuweilen ausführlich mit dem Virus und seinen Konsequenzen beschäftigen,
und die sich der vorhandenen Komplexität durchaus bewusst sind, stellt dies für
Fachfremde ein eklatantes Kompetenzgefälle dar, welches sie nur mit äußersten
Anstrengungen und zeitlichen Investitionen überwinden können. Obwohl wir rund
um die Uhr mit Nachrichten versorgt werden und uns ständig neue, teils
abstrakte Erkenntnisse präsentiert werden, bleibt es schwierig, die auf uns
einprasselnde Informationsflut abzufiltern und Verwertbares daraus zu ziehen.
Außerdem finden wir in der täglichen Berichterstattung, mit Ausnahme von
manchen Wissenschaftsressorts in Zeitungen, eher Artikel und Berichte, die
wissenschaftsfern und redaktionell verkürzt sind. Wer könne also von sich
behaupten, die Rohdatenlage und das Forschungsspektrum allein daher zu durchdringen
? Der gemeine Fernsehzuschauer und Zeitungsleser sicherlich nicht.
Verschwörungstheorien dagegen bieten eine geringere Hürde,
die zunächst nicht fordern, sich inhaltlich näher mit der Thematik
auseinanderzusetzen. Die Erklärungsansätze für unsere gegenwärtige Situation sind
dabei entsprechend simpel und täuschen oftmals Wissenschaft vor. Warum sollte
man Studien über Infektions- und Mortalitätsraten lesen, die ohnehin keine
befriedigenden Antworten geben ? Viel bequemer und sparender ist doch
anzunehmen, dass das Virus eine zweckmäßig gezüchtete Waffe aus einem Labor sei.
Das ist Film-Logik, einfache Antworten auf einfache Fragen. Dahingehend vermitteln
diese Theorien den Rezipienten etwas Konkretes, etwas Sinnbildliches und
Vorstellbares, worin der orientierungslose Bürger schlussendlich seine
Sicherheit finden kann, denn seine Suche nach Gewissheit ist damit vorbei. Im
schlimmsten Fall überströmt einen zudem das Gefühl, des aufgeklärt seins, indem
man zusätzlich glaubt, man habe die Sache jetzt durchschaut und die Wahrheit
entdeckt, worüber zuvor niemand berichten wollte. Dies ist ein Trugschluss. Und
ganz entscheidend ist dabei die Inszenierung der Videos und der
Persönlichkeiten, die durchaus eine gewisse Hochwertigkeit und Professionalität
suggerieren, um den Glaubenscharakter und die Authentizität der Aussagen zu
bestärken. Die infamen Sender der Verschwörungstheorien als solche zu erkennen,
ist daher alles andere als leicht, auch da es graduelle Abstufungen gibt und
Grenzen zu journalistisch korrekt arbeitenden Kritikern mitunter fließend sind.
Man kann die Theorien jedoch entlarven, versteht man die wissenschaftliche
Vorgehensweise. Eine Theorie muss nämlich an der Realität scheitern können. Es
ist daher in vielen Fällen ganz leicht, Stellen zu finden, an denen die Theorie
unplausibel wird oder Erfahrungen und Alltagsbeispiele den Aussagen widersprechen.
Daraus kann man sogar ein Denkspiel für die Quarantäne machen. Jeder Spieler
pickt sich eine Theorie heraus und muss nun argumentieren, wo die Fehler liegen
und warum die Theorie nicht stimmt.
Abschließend möchte ich einige Tipps vorschlagen, sollte man
generell einer kritischen Informationsquelle begegnen.
Zunächst sollte Klarheit über die produzierten Informationen
geschaffen werden. Wer ist der Auftraggeber ? Handelt es sich beispielsweise um
das Video eines privat finanzierten Senders, welches ein Freund per Handy
geteilt hat, ein Interview öffentlich rechtlicher Medienanstalten oder ein
wissenschaftlich verfasstes Paper eines Fachmannes ? Jedes Beispiel folgt
gewissen Produktionskriterien, Richtlinien und Intentionen, was sich auf der
Ebene der inhaltlichen Qualität widerspiegelt. Welche Quellen werden angegeben
und für welche Aussagen werden keine Quellenverweise und Belege geliefert ?
Ohne Beweismaterial lässt sich so gut wie alles behaupten. Ein Aspekt, den man
im Übrigen berücksichtigen sollte, kommt man auf die Idee, seine eigene Theorie
zu entwickeln. Weiter, von welcher Art sind die gegebenen Quellen ? Hierbei
kann wieder auf den ersten Punkt verwiesen werden. Sind die Schlussfolgerungen
zulässig oder gibt es Scheinzusammenhänge, für die andere Gründe in Betracht
gezogen werden müssen ? Wohlgemerkt, in der Natur existieren so gut wie nie direkte,
einfache Zusammenhänge, die nach dem A folgt B Prinzip verlaufen! Welcher
Sprache wird sich in der Übermittlung der Informationen bedient ? Klingt der
Titel reißerisch ? Geht es um eine starke Emotionalisierung und Dramatisierung
? Werden Wörter benutzt, die tendenziell affektbetont, anstatt sachlich sind ?
Gefühle sollten bei einer Bewertung stets dem Verstand weichen, vielleicht
steckt eine Ideologie dahinter. Während wir im Alltag unseren Mitmenschen mit
Vertrauen begegnen, sollte man bei Texten und Videos immer eine gewisse Skepsis
anlegen, vergleichbar wie bei Werbung, die im Hintergrund eine Strategie
verfolgt. Gibt es darüber hinaus Zweitstimmen und Gegenmeinungen, die auf die
inhaltlichen Aussagen bereits reagiert haben ? Usw.
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