Donnerstag, 2. April 2020

Kommentar aus der Quarantäne - Ein Rezept gegen Verschwörungstheorien

Mich faszinieren an unserer gegenwärtigen Situation vor allem die Phänomene, die sich dieser Tage landesweit entwickeln. Neben den offenen - und stellenweise in Vergessenheit geratenen – Solidaritätsbekundungen, sowie dem Gemeinwohl zu Gute kommenden Aktionismus, bringt die Krise allerdings auch Versäumnisse und Schwächen unserer Gesellschaft ans Tageslicht. Am Meisten entsetzt mich dabei die fehlende Kompetenz bezüglich des Umgangs mit Medien und deren Informationsgehalt. Nie zuvor besaß das Digitale einen triftigeren Gebrauchscharakter als zur jetzigen Zeit. Es ist daher nur folgerichtig, dass viele Menschen, die den Zugang zum Internet bisher nur spärlich beanspruchten, nun die Vorzüge für sich entdecken, etwa die Telekommunikation mit Verwandten, Lernportale zur Weiterbildung oder Unterhaltungsangebote in Form von Streaming-Anbietern. Gleichzeitig droht diesen Menschen eine Fülle an Gefahren im Netz anzutreffen. Damit seien hier nicht Phishing-Mails und Hacker-Angriffe gemeint, sondern konkret, Theorien, die von Desinformation, Negation und Sensation leben, sogenannte Verschwörungstheorien.

Mir ist es ein großes Anliegen darüber zu schreiben, denn bisher war ich stets der Überzeugung, Deutschland sei auch Akademikerland und die meisten Menschen besäßen doch Vernunft genug, absurde Theorien und von Fakten gestützte Plausibilität sorgfältig voneinander zu trennen. Doch in vergangener Zeit musste ich bestürzt feststellen, wie nicht nur im entfernten, sondern auch im näheren Verwandtenkreis, immer häufiger Videos und Meinungen kursierten, die davon handelten, wir seien alle Teil einer großen Verschwörung. Darunter Behauptungen, das Virus sei speziell als biologische Kampfwaffe herangezüchtet worden, oder die geregelten Maßnahmen der Freiheitseinschränkungen geschähen nur unter dem Vorwand einer totalitären Machtübernahme, oder die Wirtschaft müsse mal wieder neu gestartet werden, oder die gesamte Lage wäre ein geplantes soziales Experiment, um unser Verhalten in Krisenzeiten auszutesten. Wobei ich letzterem sogar in gewisser Weise zustimmen würde, mit dem geringen Unterschied, dass dem keine wissentliche Planung innewohnt. Und noch während ich diese Zeilen verfasse, findet parallel eine Diskussion über den Einsatz einer App statt, die das Nachverfolgen von Infektionsketten vereinfachen soll, was den einzigen Schluss zulässt, dass wir auf einen Überwachungsstaat zusteuern und der Bevölkerung bald eine totale Ausspionierung bevorsteht. Als Studierter, der sich nahezu täglich mit Medien, Logik, Statistik und dem kritischen Begutachten von Quellen auseinandersetzt, neigt man dazu über diese Unhaltbarkeiten zu lachen. Das Lachen verstummt schnell, schaut man auf die Klickzahlen unter den Videos, die die Millionengrenze sprengen. Auch die Kommentarsektion macht dabei wenig Hoffnung. Dort fallen Sätze, die sinngemäß lauten : ,,Ich wusste es, wir werden alle vera*****.“ , oder ,,Dieses Land ist dem Untergang geweiht.“ Hört man ähnliche Formulierungen dann im familiären Umfeld, weiß der Aufklärer, dass Arbeit auf ihn wartet. Denn meine Erfahrung sagt mir, Kopfschütteln alleine hilft nicht dagegen.

Ich möchte auf keinen Fall falsch verstanden werden. An vorderster Stelle ist es wichtig zu betonen, dass per se die Kritik an den Grundgesetz reglementierenden Maßnahmen, also dem Umgang der Politik mit dem Virus, sowie Kritik am System, erstens legitim und zweitens unabdingbar wichtig sind. Die Sorge, die ich hier äußern möchte, bezieht sich eher auf eine Weise der Leichtgläubigkeit, der gefährlichen Verharmlosung und Indoktrinierung, die potenziell von diesen Theorien ausgeht. Einige Anhänger der Theorien sind mit Sicherheit lediglich schlau-böse Schelme, die sich einen Spaß am Absurden abgewinnen können und wissen, dass dahinter nicht viel Wahrheit steckt. Doch eine weitere Anhängerschaft nimmt diese populistischen Äußerungen bierernst. Und ein weiterer Teil ist unentschlossen. Die Gründe, weshalb solche Gedanken Hochkonjunktur besitzen und sie von vielen womöglich als ausreichenden Erklärungsansatz dienen, möchte ich versuchen aus meiner Sicht kurz und prägnant zu erläutern.

Die Krise, die uns nahezu unvorbereitet getroffen hat, empfinden wir Menschen als etwas Surreales und nicht, oder nur schwer Greifbares. Schon der Französische Philosoph und Schriftsteller Albert Camus beschreibt dies in seinem – äußerst lesenswerten und brandaktuellen – Roman die Pest aus dem Jahr 1947. Camus schreibt :  Plagen sind ja etwas Häufiges, aber es ist schwer, an Plagen zu glauben, wenn sie über einen hereinbrechen. Es hat auf der Welt genauso viele Pestepidemien gegeben wie Kriege. Und doch treffen Pest und Krieg die Menschen immer unvorbereitet. […]
Sie glaubten nicht an die Plagen. Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten, daher sagt man sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird.

Während es gleichermaßen schwer fällt diese neue Realität zu akzeptieren, sucht der Mensch nach Gründen, die die Zerstörung seiner Gewohnheiten und die plötzliche Distanz zu den Mitmenschen rechtfertigen können. Denn um noch einen anderen Philosophen zu zitieren : Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen (Epiktet). Unser Verstand gerät noch tiefer in Angst, gelingt es ihm etwa nicht diese plötzlichen, tiefgreifenden Veränderungen in einen sinnvollen Kontext einzuordnen und die Ursachen dessen zu ergründen und zu verstehen. Das einzige Gefühl, was für uns also noch schlimmer ist, als ein falsches oder verzerrtes Weltbild bei sich vorzufinden, ist mitunter feststellen zu müssen, in diesem Moment einen unzureichenden Wissensvorrat zu besitzen; erst recht in dem vorherrschenden Chaos. Solche Gefühle, gewissermaßen die Angst vor dem Unbekannten, sind zunächst vollkommen natürlich und hören wir daher auch öfters im Alltag oder in der Fernsehberichterstattung. Man achte hierbei besonders auf Sätze wie „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“, ,,Das ganze ist für mich unbegreiflich.“ , oder schlicht ,,Das ist doch Wahnsinn.“

Das Suchen nach Halt und einem Ausweg aus der Krise, die dahingehend eigentlich eine persönliche Gewissenskrise bildet und sich von Ungewissheit speist, führt zu dem bewussten oder unbewussten Schritt der Informationsbeschaffung. Wir wollen nach dem - möglicherweise immer noch anhaltenden - Schock herausfinden, was es mit all dem auf sich hat. An dieser Stelle wird das Problem der fehlenden Kompetenzen offenkundig. Schnell müssen manche Leute feststellen, dass sie selbst weder ausreichend Ahnung von Medizin, noch von Medien, noch von Politik oder Mathematik haben und bei ihnen womöglich auch eine gewisse Phantasielosigkeit ausgeprägt ist, um den unsichtbaren Feind zu sehen. Dabei möchte ich niemandem einen Vorwurf der Bildungsferne entgegenwerfen, oder die Menschen schlichtweg als dumm diffamieren. Das Thema gestaltet sich schließlich so komplex, dass selbst erfahrene Virologen, Mediziner und Politiker einen Lernprozess im Umgang mit dem Virus durchlaufen. Auch sie sind nicht mit Allwissenheit gewappnet. Und genau hier greift die Problematik der Verschwörungstheorien. Denn im Gegensatz zu den Experten und Wissenschaftlern, die sich zuweilen ausführlich mit dem Virus und seinen Konsequenzen beschäftigen, und die sich der vorhandenen Komplexität durchaus bewusst sind, stellt dies für Fachfremde ein eklatantes Kompetenzgefälle dar, welches sie nur mit äußersten Anstrengungen und zeitlichen Investitionen überwinden können. Obwohl wir rund um die Uhr mit Nachrichten versorgt werden und uns ständig neue, teils abstrakte Erkenntnisse präsentiert werden, bleibt es schwierig, die auf uns einprasselnde Informationsflut abzufiltern und Verwertbares daraus zu ziehen. Außerdem finden wir in der täglichen Berichterstattung, mit Ausnahme von manchen Wissenschaftsressorts in Zeitungen, eher Artikel und Berichte, die wissenschaftsfern und redaktionell verkürzt sind. Wer könne also von sich behaupten, die Rohdatenlage und das Forschungsspektrum allein daher zu durchdringen ? Der gemeine Fernsehzuschauer und Zeitungsleser sicherlich nicht.

Verschwörungstheorien dagegen bieten eine geringere Hürde, die zunächst nicht fordern, sich inhaltlich näher mit der Thematik auseinanderzusetzen. Die Erklärungsansätze für unsere gegenwärtige Situation sind dabei entsprechend simpel und täuschen oftmals Wissenschaft vor. Warum sollte man Studien über Infektions- und Mortalitätsraten lesen, die ohnehin keine befriedigenden Antworten geben ? Viel bequemer und sparender ist doch anzunehmen, dass das Virus eine zweckmäßig gezüchtete Waffe aus einem Labor sei. Das ist Film-Logik, einfache Antworten auf einfache Fragen. Dahingehend vermitteln diese Theorien den Rezipienten etwas Konkretes, etwas Sinnbildliches und Vorstellbares, worin der orientierungslose Bürger schlussendlich seine Sicherheit finden kann, denn seine Suche nach Gewissheit ist damit vorbei. Im schlimmsten Fall überströmt einen zudem das Gefühl, des aufgeklärt seins, indem man zusätzlich glaubt, man habe die Sache jetzt durchschaut und die Wahrheit entdeckt, worüber zuvor niemand berichten wollte. Dies ist ein Trugschluss. Und ganz entscheidend ist dabei die Inszenierung der Videos und der Persönlichkeiten, die durchaus eine gewisse Hochwertigkeit und Professionalität suggerieren, um den Glaubenscharakter und die Authentizität der Aussagen zu bestärken. Die infamen Sender der Verschwörungstheorien als solche zu erkennen, ist daher alles andere als leicht, auch da es graduelle Abstufungen gibt und Grenzen zu journalistisch korrekt arbeitenden Kritikern mitunter fließend sind.
Man kann die Theorien jedoch entlarven, versteht man die wissenschaftliche Vorgehensweise. Eine Theorie muss nämlich an der Realität scheitern können. Es ist daher in vielen Fällen ganz leicht, Stellen zu finden, an denen die Theorie unplausibel wird oder Erfahrungen und Alltagsbeispiele den Aussagen widersprechen. Daraus kann man sogar ein Denkspiel für die Quarantäne machen. Jeder Spieler pickt sich eine Theorie heraus und muss nun argumentieren, wo die Fehler liegen und warum die Theorie nicht stimmt.  

Abschließend möchte ich einige Tipps vorschlagen, sollte man generell einer kritischen Informationsquelle begegnen.

Zunächst sollte Klarheit über die produzierten Informationen geschaffen werden. Wer ist der Auftraggeber ? Handelt es sich beispielsweise um das Video eines privat finanzierten Senders, welches ein Freund per Handy geteilt hat, ein Interview öffentlich rechtlicher Medienanstalten oder ein wissenschaftlich verfasstes Paper eines Fachmannes ? Jedes Beispiel folgt gewissen Produktionskriterien, Richtlinien und Intentionen, was sich auf der Ebene der inhaltlichen Qualität widerspiegelt. Welche Quellen werden angegeben und für welche Aussagen werden keine Quellenverweise und Belege geliefert ? Ohne Beweismaterial lässt sich so gut wie alles behaupten. Ein Aspekt, den man im Übrigen berücksichtigen sollte, kommt man auf die Idee, seine eigene Theorie zu entwickeln. Weiter, von welcher Art sind die gegebenen Quellen ? Hierbei kann wieder auf den ersten Punkt verwiesen werden. Sind die Schlussfolgerungen zulässig oder gibt es Scheinzusammenhänge, für die andere Gründe in Betracht gezogen werden müssen ? Wohlgemerkt, in der Natur existieren so gut wie nie direkte, einfache Zusammenhänge, die nach dem A folgt B Prinzip verlaufen! Welcher Sprache wird sich in der Übermittlung der Informationen bedient ? Klingt der Titel reißerisch ? Geht es um eine starke Emotionalisierung und Dramatisierung ? Werden Wörter benutzt, die tendenziell affektbetont, anstatt sachlich sind ? Gefühle sollten bei einer Bewertung stets dem Verstand weichen, vielleicht steckt eine Ideologie dahinter. Während wir im Alltag unseren Mitmenschen mit Vertrauen begegnen, sollte man bei Texten und Videos immer eine gewisse Skepsis anlegen, vergleichbar wie bei Werbung, die im Hintergrund eine Strategie verfolgt. Gibt es darüber hinaus Zweitstimmen und Gegenmeinungen, die auf die inhaltlichen Aussagen bereits reagiert haben ? Usw.  

Dies sind einige, aber nicht alle Punkte, bezüglich einem kritischen Umgang mit Medienquellen und ich empfehle, diese zumindest ansatzweise durchzugehen, bevor die eigenen Überzeugungen auf dem Sockel einer Informationsquelle errichtet werden. Die Gefahr der nächsten Verschwörung aufzusitzen, sinkt damit signifikant. Und unter Umständen erledigt sich dann die Frage, ob man die Quelle wirklich seinen Verwandten schicken muss, ganz von selbst.                     

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen