Sonntag, 22. März 2020

COVID 19 - Chance statt Krise


Im Chinesischen (*Mandarin) bedeutet das selbe Wort für „Krise“ gleichzeitig „Chance“. Bezeichnend dafür, dass das COVID-19 Virus ausgerechnet in der Chinesischen Provinz Hubei seinen Ursprung fand und in den Augen der Meisten hierzulande wohl als weltveränderndes Problem wahrgenommen wird. Ja, die Welt nach Corona wird eine andere sein, denn der Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung ist vielleicht das, was uns dieser Tage am meisten Sorgen bereitet. Nicht die Mortalitätsrate oder die exponentiell steigende Ansteckungskurve, die wir bei aller Anstrengung möglichst weit zu strecken suchen, sorgen für Panik, sondern der weitgehende Stillstand oder gar das drohende Erliegen unserer Versorgung und der Arbeit. Denn wir wissen, mit dem Virus wird die medizinische Forschung früher oder später fertig werden. Ein Impfstoff ist nur eine Frage der Zeit, nicht des Geldes oder anderer Mittel. Die Menschheit wird bestehen bleiben. Wir haben doch schon Schlimmeres durchgestanden und überlebt. Manch einer neigt gar dazu das Virus derlei zu bagatellisieren, dass er bedenkenlos andere einer Infektionsgefahr ausliefert.  

Ich wage daher zu behaupten, dass die größte Angst dieser Tage allein von der ungewissen Aufhebung des gegenwärtigen Ausnahmezustandes gespeist wird. Niemand weiß wie lange wir unser derzeitiges Leben unter diesen Umständen weiterleben müssen. Wir scheren uns nicht um den Zwang und die Verbote, die Einschränkung der Freiheitsrechte, denn die grundlegende Versorgung steht stabil und der Großteil von uns weiß, diese Maßnahmen dienen dem einzigen Zweck unser aller Überleben zu sichern. All diese Veränderungen wirken fremd, sind aber logisch rational und wirken daher keineswegs wie etwas, das unser Gehirn nicht verarbeiten könnte.

Das Filmgefühl, das Surreale, das nun greifbar scheint, spüren wir allerdings am eigenen Leibe, da sich uns eine neue Form der Realität entgegenstellt. Eine Realität, die mit unseren bisherigen Gewohnheiten bricht und die uns jederzeit konfrontiert, gehen wir Einkaufen oder verfolgen wir die neuesten Medienberichte, dann wird eine Stimme in uns laut, der wir stets beschwichtigen müssen, gerade nicht einem Traum beizuwohnen. Dass wir all das gerade erleben, dass wir plötzlich Verhältnisse verändernde Weltgeschichte am eigenen Leib widerfahren und mit Glück in ein paar Monaten darauf zurückblicken können, wenn wir hoffentlich wieder aus dem Corona-Schlaf erwachen dürfen, all das liegt schwer im Magen und wir können nur vermuten wie die Welt nach der Pandemie aussehen wird.

Bis dahin bleiben uns, neben der Pflicht zu solidarischem Gesundheitsverhalten, einige Umstände, die ich als Chancen verstehen möchte, die sich durch diese außergewöhnliche Situation bieten. Denn wie von vielerlei zurechnungsfähigen Kanälen zuvor angemerkt wurde, ist Panik und Verzweiflung erst recht fehl am Platz. Sicher, neben den zahlreichen Verlusten und Rückschlägen, die wir verzeichnen und noch in Zukunft verbuchen müssen, ist es zu bedauern, dass unser soziales Leben und unsere Kultur heuer derartigen Schranken unterworfen bleibt.
Überhaupt erfüllt die physische Öffentlichkeit eine postapokalyptischen Ruhe, als hätte man einen Großteil aller Noten aus einem Musikstück entfernt und mit Leerpausen ersetzt. Trauerstimmung oder auch Bedrückung, welche durchaus nachvollziehbar scheinen, ändern die Lage jedoch nicht, weshalb wir uns lieber fragen sollten, wie wir mit dieser Situation umgehen und wieso wir die Dinge missen, die wir nun schmerzhaft vermissen?

Die Zeit, unser zwischenmenschliches Leben, die Gesellschaft und die Kultur zu hinterfragen, ist jetzt da und es steht uns gewissermaßen frei, von dieser Zeit zu schöpfen und uns Dingen zu widmen, für die wir uns bisher zu Schade waren, größere Anstrengungen und Mühen aufzubringen. All die Fragen an unsere eigene Zukunft, die Hektik und der Stress, welche noch vor ein paar Wochen dominierten und auf unseren Schultern lasteten, wurden nun dankbar weggenommen, ob gewollt oder nicht. Wir sollten deswegen nicht ständig danach trachten, wann wir zum gewohnten Leben zurückkehren dürfen, es liegt ohnehin nicht – zumindest nicht direkt - in unserer Hand; vielmehr sollten wir uns fragen, welche Chancen sich jetzt auftun ? Mir sind dabei einige Denkanstöße aufgrund von Beobachtungen eingefallen, die ich gerne zum Anregen teile.

Beispielsweise erkennen wir durch die angepassten Umstände nicht, welchen Stellenwert gewisse Arbeiten im Eigentlichen für uns besitzen ? Arbeiten, die die Pfleger, Kassierer und Transportdienstleister dieses Landes ausüben und nun die grundlegendsten und gleichzeitig wichtigsten Bedürfnisse gewährleisten. Arbeiten, die zuvor offenbar wenig wertgeschätzt und entlohnt wurden und nun in der Krisenzeit scheinbar mehr bedeuten als zuvor. Können wir uns nicht wahnsinnig glücklich schätzen, ein solch materiell gut ausgestattetes Gesundheitssystem mit hart arbeitendem, medizinischen Personal vorzufinden ? Und warum haben wir die Pflege lange Jahre so derart vernachlässigt ? Jetzt rächt es sich schlagartig und wir sind hoffentlich schlauer. Einige Personen haben diese Tatsache schon erkannt und applaudierten daher ungeniert vor Fenstern oder bekannten diese Honorierung in den sozialen Medien.

Selbst das Klima profitiert auf indirektem Wege von der Epidemie, denn dass sich die Menschen in ihre Behausungen zurückziehen müssen, ermöglicht der Natur Raum zurückzugewinnen und eine Regeneration von der industriellen Belastung, hört man etwa Geschichten aus Italien, wo Flüsse plötzlich wieder sauber werden, oder von Berichten aus China über den spürbaren Rückgang der städtischen Luftverschmutzung.

Wir verstehen nun mitunter auch, welch enorme Wichtigkeit die digitale Vernetzung und das Internet als sozialer Raum für unser Leben einnimmt. Ganze Unternehmen machen sich daher gezwungenermaßen über die Digitalisierung Gedanken, denn das Home-Office und der Onlinezugang rücken nun stärker in den Fokus. Darüber hinaus stehen die vielen Möglichkeiten des E-Learning durch Foren, entsprechende Webseiten und Video-Portale zur Verfügung, welche uns helfen völlig autodidaktisch neue Lerninhalte anzueignen oder interessenorientiert einem (möglicherweise neuen) Hobby nachzugehen – Stichworte Weiterbildung und lebenslanges Lernen.
Diesbezüglich sehen wir auch den ausgedehnten Wohlstand innerhalb der elektronischen Unterhaltungsindustrie. Alleine die Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich uns heute durch das Netz und die neuen Medien bieten sind gewaltig; so sehr, dass uns gar nicht langweilig werden kann. Die Quarantäne schafft die Gelegenheit all die Filme, Serien, Alben, Bücher und Spiele nachzuholen und zu genießen, die wir oftmals notorisch im Alltagsfluss untergehen lassen. Wenngleich ich nicht behaupte möchte, man soll die Zeit der eigenen Isolation allein mit Bespaßung und Unterhaltung vorantreiben. Vielmehr öffnen sich uns jetzt die Ruhezonen, die eine ganzheitliche Befassung mit diesen Dingen ermöglichen.

Dazu zählt auch eine Befassung mit uns selbst. Und ich wage eine weitere These aufzustellen, dass die wenigsten, mit Ausnahme von besinnlichen Weihnachtsabenden, bewusst die einsamen Momente ergreifen und den Mut fassen, in sich zu gehen und existenzielle Gedanken über das Leben auszuformulieren. Vielleicht erlebt der ein oder andere in seinem stillen Exil plötzlich eine Epiphanie oder traut sich nun wieder mehr die Nähe zu anderen Familienmitgliedern aufzusuchen. Denkbar sind viele individuelle Erzählungen, die wohl im Moment überall stattfinden und von einem neuen Zwischenleben handeln. Aufgeschlagene Lagerfeuer und gemeinsame Abende, die es eigentlich nur noch im Zeltlager gibt oder eben an Festtagen zum reinen Ritual verkommen sind.     
Überhaupt könnte man meinen, dass das Virus uns in seiner Unumgänglichkeit hilft entweder Verkümmerungen oder versäumten Entwicklungen voranzutreiben, die in der Vergangenheit viel diskutiert aber nur spärlich angegangen wurden. Ganz positivistisch formuliert, drängt uns das Corona-Virus zu dem, wofür die Deutschen allgemein weniger bekannt sind, nämlich zum disruptiven Handeln.  

Denn selbst die oft stets träge wirkende Politik zeigt sich in unseren Augen dieser Tage so leibhaft agierend und kompromisslos wie seit Jahren nicht mehr, wenn sie notgedrungen der Wissenschaft nacheifert und überraschenderweise ihre Macht gezielt einsetzt, diese Krise zu bewältigen.
Die Zeit, die wir hier in Isolation sitzen, ist eine generierte Erfahrung, nicht mehr und nicht weniger. Welche Erkenntnisse wir aus dieser Möglichkeit zur Kontemplation herausziehen, um die Welt danach wieder aufzubauen und neu zu formen, wirtschaftlich, kulturell und sozial, liegt ganz bei uns und hängt insbesondere davon ab, wie wir diese Zeit der Vorbereitung - nicht des Ausharrens - diesbezüglich nutzen. Hoffentlich mit Bedacht.

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