Es ist mal wieder an der Zeit für mich ein besonderes Stück
Musik zu empfehlen und schmackhaft zu machen. Und diesmal ist die Aufgabe
denkbar schwer, denn das neueste Tool-Album ist alles andere als ein leichtes,
bekömmliches Häppchen für Zwischendurch. Eigentlich eine Tatsache, die schon im
Voraus ein Pluspunkt auf meiner Wertungsskala bedeutet. Ich konstatiere, es
gibt sie tatsächlich noch - leider immer seltener - die Alben, die sich in Überlänge
ergötzen und ihrem Hörer zumuten nicht auf Anhieb zu gefallen. Obwohl die
Fanbase von Tool und der Hype um die Platte schon Kult für sich sind, gibt es
wahrscheinlich genügend Leute, denen auch der Fakt egal sein sollte, dass es
für die Band die erste Veröffentlichung seid dreizehn Jahren ist und in vielen relevanten
Musikredaktionen herbei erwartet wurde wie die Ankündigung des neuesten I-Phone
Ablegers unter Apple-Jüngern; ähnlich fanatisch. Ebenso wird es vielen
Pop-Hörern egal sein, dass die Prog-Rocker andere Koryphäen in den Charts auf
Anhieb verdrängt haben (zu Recht).
Zugegeben, an mir ist diese Band seit immer und bis dato spurlos
vorbeigegangen. Als leidenschaftlicher Prog-Rock-Bekenner hab ich natürlich über
die so gesagten Klassikerwerke drüber gehört, widmete den Songs aber nie
wirklich gebürtige Aufmerksamkeit. Klar ist das fabelhaft gespielt und für die damalige
Zeit wahrscheinlich auch Genre-prägend, aber irgendwas fehlte, dass es eine
Initialzündung auslösen würde. Vielleicht ändert sich das nun in Zukunft. Denn ohne
groß herumzuschweifen, entdecke ich die Band durch ihr aktuelles Album „Fear Inoculum“
wieder neu. Ein Album wie es in meiner Wahrnehmung vielleicht alle paar Jahre
auftaucht und aus der Masse hervorsticht. „Fear Inoculum“ ist wieder hörenswert,
um nicht zu sagen geradezu erschütternd gut.
Als kleiner Wehrmutstropfen vorweg, zwischen der
wesentlichen Musik und drumherum sind einige Kopfschüttler durchaus angebracht.
Das beginnt mit der Frage, weshalb die Platte nicht als tiefenschwarze Vinyl-Version
auf den Markt kommt, sondern entweder als völlig überteuerte, mit allerlei redundantem
pseudo-fanservice-special Material angereicherte, Deluxe-CD-Box, oder eben in
Form eines seelenlosen Mp3-Downloads auf dem Streamingportal deines Vertrauens.
Da schiebt man den Release um die womöglich gehypteste Rockplatte der
vergangenen Jahre bis zur ermüdenden Lustlosigkeit hinaus und bietet, den vor
lauter Warterei beinahe ausgebrannten Fans, die unverschämteste Abzocke seit
langem. Streng limitierte Stückzahlen mit 80 € Einstiegspreis ! Muss man nicht
verstehen, ist einfach künstliche Verknappung, Profitgier, Arroganz, was auch
immer.
Egal, viel interessanter ist sowieso, was auf Gehörebene passiert,
sobald die vier Herren ihr Arsenal nach Lust und Können verschießen. Und hier sehe
ich die einzige Schwäche bei den herzlich uninspirierten Zwischenspielen, die wirklich
niemand bräuchte und daherkommen, als wären es Outtakes, die die Band
zwischendurch beim Jammen aufgenommen und einmal am Computer zusammengeklatscht
und dazwischen gepresst hat, weil offensichtlich auf der super-dollen vierer CD-Deluxe-Box
noch Platz für Zusatzmaterial war.
Abseits dieser Musikschnipsel fließt die eigentliche Magie
von „Fear Inoculum“. Sechs atemberaubende, zwischen zehn und fünfzehn Minuten
anhaltende Longtracks, von denen jeder einzelne den Hörer in vollem Maße
vereinnahmt. Zu meiner Schande muss ich gestehen beim ersten Durchlauf die Tracks
lediglich im Hintergrund und aus der Distanz wahrgenommen zu haben. Und so, das
kann ich nur betonen, gewinnt dieser Film definitiv keinen Preis. Hier muss man
wirklich genau hinhören, erkunden, im Detail forschen, Aufpassen und die Lust
und Zeit mitbringen sich mindestens eine Viertelstunde seines Lebens hinzugeben.
Wer nichts für Zahlenspielereien und Rhythmuswechsel am laufenden Band übrig
hat oder die Gitarre nur als Klampfe vom Lagerfeuer kennt, sprich, wer glaubt gute
Musik bestehe nur aus Dreiminütern ala Taylor, Miley, Ariana, Ellie etc. , tut
sich mit dieser Platte vermutlich schwer und wird vielleicht nie in den vollen Genuss
kommen. Schade eigentlich, denn wer sich bereitwillig darauf einlässt, wird
hier reich belohnt.
Erst bei meiner zweiten Hör-Session mit offenen Ohren ist
der Funke daher vollends übergesprungen. Erst wenn man genau hinhört erkennt
man, was diese Scheibe so großartig macht. Seien es das nahtlose, stets
kongeniale und abwechslungsreiche Schlagzeugspiel von Danny Carey, welches die
Songs kraftvoll anleitet und über alle Distanzen zusammenhält, wie Kitt, oder
die hysterisch pulsierende und rastlose Gitarre in „7empest“, die aus dem
Nichts und urplötzlich den ganzen Raum einzunehmen vermag, die flächenbauenden
Synthies und auftürmenden Klangschichten, die in „Pneuma“ ein gewaltiges Finale
heraufbeschwören, dem möglicherweise besten Stück der Platte, sei es das oft unterschätze
Spiel mit der laut-leise Dynamik in „Descending“, oder sei es der
stimmungsvolle, düstere Nebel zu Beginn des Titelstücks, der einen Vorgeschmack
liefert, welche Mathematik sich hinter den folgenden 87 Minuten-dicken Schwaden
verbirgt und den Hörer schon mal auf das Unheimlichste vorbereitet; vor dieser
Musik sollte man ehrfürchtig von seinem Sessel aufstehen und applaudieren.
„Fear Inoculum“ ist zweierlei. Zum einen ein technisch
wahnsinnig anspruchsvolles und atmosphärisch unnachahmliches Stück progressiver
Musik. Und zum anderen eine einmalige Sinneserfahrung wie es die wenigsten Künstler
noch gerade mit Mühe hinbekommen. „Fear Inoculum“ klingt herrlich frisch und
gleichsam nach der Weisheit alter Meister, die sich nochmal zu Worte melden,
man kann Musik auch noch anders erzählen. Herrlich !
Anspieltipps : Pneuma, Invincible
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