Sonntag, 13. Oktober 2019

Qualityland – Ein Qualitätsroman von Mark-Uwe Kling


Qualityland, so nennt Autor Mark-Uwe Kling die Welt von Morgen. Wenn wir nicht schon heute in dieser Dystopie (?) verweilen, die uns in dieser wunderbar schwarzhumorigen und zynisch durchzogenen Gesellschaftssatire skizziert wird. In Qualityland, dem überhaupt besten Land der Welt, gibt es nur noch Monopolistische Strukturen, die den Menschen in jeder Hinsicht das Beste vom Leben versprechen. Es gibt kein einfaches Essen mehr, sondern Qualitätsnahrung, keine simplen Wohnungen mehr, sondern Qualitätsapartments, Qualitätsbabys, Qualitätsstädte, rosafarbene Qualitäts-Delfinvibratoren, Qualitätsfilme und andere Qualitätsprodukte, individuell zugeschnitten auf die Bedürfnisse jeden Bürgers, bezahlt mit Qualitätsgeld. Alles ermöglicht dank großer Konzerne wie TheShop, dem größten Online-Versandanbieter, oder Everybody, das eine soziale Netzwerk, das alles und jeden registriert und miteinander verbindet. Hier wird jeder Wunsch von deinem Profil abgelesen.

Mit Hilfe künstlicher Intelligenzen, Robotern und Prozessen der Automatisierung eroberten diese Konzerne die Welt Stück für Stück, indem sie zunächst sämtliche Ineffizienz und Unproduktivität (also Menschen) beseitigt, Konkurrenten aufgekauft haben und den Kunden grenzlose Konsumfreiheit boten. Und weil die Algorithmen von solcher Intelligenz strotzen, dass sie in der Lage sind, die Lebenslinie und das Verhalten eines Menschen schon vor der Geburt zu bestimmen, werden uns die Produkte, von denen wir eben noch nicht wussten, dass wir sie begehren, unmittelbar und ungefragt vor die Haustür geliefert; von Drohnen, die uns immer in freundlich erheiterter Tonalität danach fragen, ob wir mit der Lieferung denn zufrieden sind ?

Dem Menschen wird in Qualityland nicht nur die Mühsamkeit erspart, Objekte der Begierde zu produzieren, ihm wird sogar die Schwierigkeit zur Entscheidung abgenommen. Eine künstliche Intelligenz weiß ja noch bestimmt wohl, was das Beste für einen ist. Denn woher soll denn jemand selbst wissen, wer er ist und was er möchte ? Bei all der Vielfalt und Freiheit, wer kann da noch alleine den Überblick über das Angebot halten und seine Vorlieben und Interessen damit in Einklang bringen ? Wer könnte also folglich unsere Geschmäcker besser analysieren, als der Algorithmus, dem wir sie anvertrauen ? Deswegen gibt es in diesem System auch keine Fehler und nichts, das aneckt oder uns nicht gefällt. Und was wir vermeintlicher Weise gar nicht wollen, das wussten wir eben bisher noch nicht; jetzt schon.

In Qualityland stecken tausende Referenzen, Anekdoten und Querverweise auf Literatur, Philosophie und Populärkultur rund um Science-Fiction und Gesellschaftstheorie. Eigentlich liest sich Qualityland wie ein moderner Querverschnitt aus „1984“ und Lustigen Taschenbüchern. Das ist zeitweilig nicht nur amüsant und reizt in seinen Höhepunkten zum schallenden Lautloslachen, sondern bietet darüber hinaus lehrreiche, bisweilen sogar aufklärerische Gedanken für den Leser. Denn die vielen Themen, die Kling hier mit viel Fingerspitzengefühl anschneidet und mit einem ordentlichen Schwank an bittersüßem Humor überzieht, sollten Schule machen. Ganz ohne Sarkasmus, dieser Roman taugt zweifellos zur Pflichtlektüre im Geschichts- oder Sozialkundeunterricht. 

Zwar gewinnt der Autor, den man vor allem wegen seiner abgedrehten Känguru-Chronik kennt, nicht zwingend neue Ideen bezüglich der Vorausschau auf das Maschinenzeitalter, bereitet den Status Quo aber satirisch und populär für die breite Masse auf. Den eigentlichen Clou landet Kling vor allem dann, wenn er durch Überspitzung aufzeigt, wie sehr sich unsere heutige Welt der Asymptote „Qualityland“ bereits angenähert hat.
Als Leser fühlt man sich dann häufig ertappt oder aufgeweckt, denn die Parallelen zu großen Internetanbietern sind mehr gewollt als gekonnt und erinnern permanent an die Mechanismen nach denen wir unseren Alltag fast schon selbstverständlich ausrichten. Filme wie „Idiocracy“ und „Brazil“ lassen grüßen. 

So gesehen ist Qualityland ein Roman, der näher an der Gegenwart als der Zukunft spielt. Viele Sachverhalte worüber man in diesem Werk lachen kann (und darf), sind in Ansätzen bereits zu sehen. Kling gelingt es diese so komplexen Themen für uns pointiert sichtbar zu machen und stellt den Leser zwischendrin vor eine wohlüberlegte Frage.
Was ist wohl gefährlicher ? Eine künstliche Intelligenz, erschaffen durch die eigenen Hände, oder eine echte Intelligenz, von der man nicht weiß, wie sie funktioniert ?             

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