Samstag, 7. Dezember 2019

Die drei ??? - Der dunkle Taipan - Review


Ich erwische gerade noch die letzte U-Bahn. Zwischen Fahrgästen und Sitztrennung ergattere ich einen Stehplatz und ziehe ein Buch hervor. Ich hege keine großen Erwartungen, aber Neugierde ist durchaus vorhanden. Ich schaue nochmal auf das Ticket und vergewissere mich über den Einlasstermin. Nach einer halben Stunde Fahrt schiele ich aus dem Fenster und sehe die ersten Schneeflocken. Die Fahrtanzeige an der Decke ist von unbekannten Gesichtern verdeckt, so eng drängen sich die Leute in der Straßenbahn. Eine Ansage ertönt und vermag es nicht sich durch das Getümmel zu meinem Ohr durchzudringen, sie geht unter. Eine ältere Dame kennt die Strecke und hilft mir die richtige Station ausfindig zu machen. Endstation Schleyerhalle. Üblicherweise Schauplatz diverser Musikvertreter und Gelegenheit für Schwabenbürger Kultur auf großer Bühne zu erleben, was auch für diesen Tag wiedermal zutrifft. Schlager-Koryphäe Andrea Berg beschallt in der einen Hälfte ein über lange Jahre gereiftes Publikum, das sich nochmal wie 27 fühlen und vielleicht an alte Zeiten erinnern möchte. Unkonventionell, aber nicht weniger nostalgisch, geht es dagegen in der anderen Hallenseite zu. Zwanzig- , vielleicht Dreißigtausend Zuschauer – mich eingeschlossen - werden an diesem Freitagabend an einer live vorgetragenen Hörspielfolge von „die drei Fragezeichen und der dunkle Taipan“ teilnehmen. Justus, Jonas und Bob. Drei Jungdetektive, die ursprünglich als amerikanische Buchvorlage entstanden und hierzulande als spannend vertontes Hörspiel für Jugendliche bekannt wurden.

Ein defektes Kartenlesegerät und die strengen Einlasskontrollen (keine Rucksäcke und Taschen, die A4 Format überragen sind erlaubt) trüben zunächst die Stimmung und sorgen für reichlich Frust statt Lust. Aufbewahrung für Wertgutsachen gibt es heute nicht. Zumindest nicht offiziell. Ein kleinen Aufbewahrungsservice gibt es an der Straße. Der zusätzliche Andrang der mitgereisten Schlagerfans entspannt den Ordnungsprozess umso weniger. Dementsprechend dauert es keine drei Minuten und der gesamte Eingang überquillt, das Personal fühlt sich überfordert und die Besucher genervt; also normales Klima im Schwabenländle. Schließlich hilft nur noch Geduld, Hände aneinander reiben und Abwarten bis sich der Pulk gemächlich in Bewegung setzt. Die ersten zwei Minuten des Abenteuers verpasse ich folglich. Egal, Platz suchen, hinsetzen und die Show genießen.

Die Bühne erstrahlt mit diversen Lichtern ausgestattet, am vorderen Rand stehen drei Mikrofonständer aufgereiht nebeneinander als würde dort eine Boygroup auftreten, Mischpulte und Keyboards dürfen auch nicht fehlen, und ein Geräuschemacher sitzt wie selbstverständlich mit seinem Equipment aus Mikrofonen, Fahrradreifen, Schuhen, verschieden gearteten Oberflächen und tausend weiteren Gegenständen da und starrt gleiche einem Dirigenten auf das Drehbuch vor ihm. Ein großer roter Vorhang ummantelt die Spielfläche und im Hintergrund türmen drei gut sichtbare „?“ -Lampen, monumental wie Monolithen.

Die folgenden zweieinhalb Stunden, inklusive Umsatzpause, hinterlassen den Eindruck bei mir, ich sei soeben in den Kreis einer anderen Subkultur eingetreten. Denn obwohl mir die Hörspielserie seit längerem geläufig war, hatte ich mich erst im vergangen Jahr dazu hinreißen lassen, einem der Abenteuer wirklich mal genauer auf dem Zahn zu fühlen. Die erste Begegnung, als ich die drei Detektive bewusst wahrgenommen hatte, war kurioserweise beim Auskundschaften in den Verkaufscharts und in der Mediaabteilung. Man schaut sich zwanglos um, was sind die Trends ? Was bringt die höchsten Absatzzahlen ? Was ist beliebt und angesagt? Interessanterweise, so musste ich feststellen, eine Hörspielserie für Kinder- und Jugendliche, die mit jede ihrer neuesten Folgen in den Toplisten landet.

Ab diesem Zeitpunkt war meine Neugierde geweckt und ich würde mit der Zeit feststellen, dass die Reihe nicht nur ein großes Phänomen in der Jugendkultur bildet und es etliche Franchiseprodukte gibt, sondern die Marke insbesondere generationenübergreifend ihren Erfolg verbaut. Eine Erkenntnis, die das Trio auch wissentlich und bei geeigneter Gelegenheit in die Show einzupflegen gedenkt. Da gibt es beispielsweise eine Szene, in der die Charaktere ihr Alter vorweisen sollen. Leichte Uneinigkeit herrscht zwischen den drei Männern. Bob schwört auf fünfzehn Jahre, worauf Justus lakonisch und treffsicher sagt : „Ach was, wir sind mindestens sechzehn“. Eine kurze Stille breitet sich  im Publikum aus und die Halle schweigt gebannt. Der erste Detektiv fügt seufzend hinzu : „Aber das schon seit vierzig Jahren“. Schallendes Gelächter braust auf.

Es sind Momente, die mehr gekonnt als gewollt wirken und an diesem Abend auch immer wieder eine Verneigung vor den Fans und ihrer langjährigen Treue signalisieren. Ein Zurückerinnern und Reflektieren, das ebenso in der Erzählung stattfindet. Diese springt in gewohnter Manier von mehreren, teils bekannten Orten hin und her, führt wenige, prägnante Figuren ein und ist durchtränkt von Anspielungen und Verweisen auf Popkultur und frühere Episoden. Für Leute, die den Kosmos erst kennenlernen sicherlich kein Mehrgewinn, aber auch nicht abschreckend, halten sich die Reminiszenzen doch im erträglichen Umfang und verkommen niemals zum Selbstzweck. Spannung und Humor bleiben ebenfalls in der Waagschale, schießen keineswegs über das Ziel hinaus und adressieren in der Regel nie allein die jüngere Zuhörerschaft.

Neben den bekannten Sprechern treten regelmäßig die selben Nebenakteure auf und schlüpfen immer wieder in andere Rollen, verändern ihre Stimmlage und Akzent und spielen passend dazu ein wenig mit Körper und Mimik. Immer begleitet von akzentuierten, auf der Bühne erzeugten Geräuschen und Soundeffekten, die die Szenerie ergänzen und lebendig werden lassen. Man erlebt hier live - unüblicherweise mit Augen und Ohren - wie das sonst verdeckte Handwerk aus Schauspiel und Toningenieur in Symbiose ineinandergreifen und transparent werden. Das gesamte Stück gleicht dabei einem Synchronisationstheater ohne überkandideltes Bühnenbild und Kostümbasar. Dafür steht das Akustische im Vordergrund und man könnte während der Show beruhigt die Augen schließen; die Erfahrung wäre ebenso intensiv.      

Einzig der Kriminalfall, das im Mittelpunkt stehende Mysterium, scheint der schwächste Punkt in dem gesamten Event, ist man von den drei ??? doch deutlich besseres gewohnt. So wirkt die Geschichte punktuell stark konstruiert und hier und prophezeie ich, dass sich detailbesessene Logiklückenschließer die Haare herausziehen werden. Notorisch sollte man eben betonen, dass es bei aller Liebe oftmals um ein simpel gestricktes Jugendhörspiel handelt. Und dennoch spüre ich an diesem Abend keineswegs den Gedanken von Abzocke oder Veräppelung.
Wenn eine restlos ausverkaufte Stadionhalle in vollkommener Ruhe, einem zwei Stunden lagen Hörspiel lauscht, dabei von acht bis achtzig Jahren nahezu alle Altersgruppen vertreten sind, dann versprüht das eine einvernehmliche Atmosphäre, die dem echten Weihnachtsgeist besonders nahe kommt. Fast wie eine Kirche unter der alle ein Dach finden. Ein Vergleich, der zumindest formell gar nicht so abwegig klingt. Die meiste Zeit wird schließlich geschwiegen und zugehört, und am Ende gibt es eine Standing-Ovation.

Ich kann das Phänomen „die drei ???“ nach zweieinhalb Stunden unterhaltsamen Akustiktheaters mehr nachvollziehen denn je. Ohne eine nostalgische Brille aufsetzen zu müssen erschließt sich mir langsam die Begeisterung und der populäre Erfolg der Serie. Erfolg, der sich insbesondere in der großartigen Bühnen- und Synchronisationsperformance der Akteure rechtfertigt.
Sicherlich gibt es ureigene Grundbedürfnisse, nach denen wir uns sehnen. Das Hören von Geschichten ist nicht zuletzt eine dieser Sehnsüchte, die einst am Lagerfeuer begann und mittlerweile ständig neue Formen angenommen hat. Allerdings braucht es, so viel sei mal spekuliert, im Zeitalter von Streaming vielleicht mehr denn je das Unmittelbare, das Nahbare und unbestreitbar, eine gewisse Qualität von Unterhaltung– trotz aller Nostalgie. So wie eben bei den drei ???.

Man kann mit Fug und Recht behaupten, diesen Personen ihre Berufserfahrung und ihr einmaliges Talent an jeder Ecke anzumerken. Gleichsam treten sie mit ihrer öffentlichen Darbietung für eine Kunst ein, die dem Video-, Buch- und Musikmarkt zahlenmäßig weit unterliegt, die es daneben aber in gleichem Maße zu würdigen gilt. Die Kunst, die die ??? und ihre Mitstreiter in beängstigender Leichtigkeit zelebrieren und die zurecht von den Zuschauenden und Zuhörenden an diesem Abend gefeiert wird, sie bleibt stets minimalistisch, und gerade deshalb so groß.

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