Ist e-Sport denn Sport ? Ich muss zugestehen, obwohl ich mich als Sportwissenschaftler sehe und diese Frage mir nahe dem Gamer-Herzen liegt, bin ich es genauso Leid über dieses Thema zu diskutieren. Denn meiner Meinung nach stellen wir uns die falsche Frage. Korrekt müsste es lauten : "Wollen wir, dass e-Sport als Sport anerkannt wird ?".
Egal wen man auf der Straße befragt, es gibt zig Meinungen dazu, ob e-Sport Sport ist und - möglicherweise noch viel wichtiger - was Sport überhaupt bedeutet? Ich lasse an dieser Stelle sämtliche wissenschaftlichen Denkansätze einmal aus und kann nur sagen, selbst in der Sportwissenschaft fehlt es an einem einheitlichen Konsens. Es gibt keine in Stein gemeißelte Definition des Begriffes "Sport". Dies liegt daran, dass Sport, breit aufgefasst, ein sehr komplexes und dynamisches Phänomen ist, dass sich permanent erweitert, verändert und aus unterschiedlichen Perspektiven verstanden werden kann. Die Befragung von zehn Passanten würde wahrscheinlich jeweils zehn, ganz individuelle Definitionen von Sport hervorbringen. Ebenso gelangt jede Perspektive, jeder Erklärungsansatz und jede Wissenschaftsdisziplin in der Analyse von Sport mitunter zu einem völlig anderen Ergebnis. Daher resultiert auch der konfliktgeladene Vergleich von e-Sport und Sport. Doch warum ist das überhaupt so wichtig, ob e-Sport diesen - offensichtlich uns unklaren - Titel des Sports verdient ?
Grund hierfür sind die rechtlichen Privilegien wie unter anderem Steuervorteile und Bezuschussung von ausgebildeten Trainern, aber ebenso die gesellschaftliche Anerkennung, die der Sport mancherorts genießt. Der letzte Punkt ist im Übrigen besonders erwähnenswert, denn es gibt vermutlich keine größere Kultur der letzten 25 Jahre, die so viel Spott und Ressentiments über sich ergehen lassen musste wie die der Videospieler. Frauenfeindlich, aggressiv, dick, faul, ungebildet, weltfremd und soziophob sind einige der gern gezogenen Stereotype. Aber das nur am Rande.
Betrachtet man die Geschichte des Sports rückläufig, so findet man immer wieder differente Bezeichnungen und Ausgestaltungen dessen, was heute unter dem weitläufig akzeptierten Begriff subsumiert wird. Die Rede ist dabei von Leibesübungen, Turnen, Diätetik, ritterlichen Exerzitien oder auch Gymnastik. Jeder dieser Begriffe dominierte eine ihm zugesprochene geschichtliche Epoche, die Ausdruck sozialer Verhältnisse und gesellschaftlicher Strukturen war. So entstand der Begriff des Sports etwa Anfang des 19. Jahrhunderts in England und wurde damals noch von Adeligen und Hochklassigen betrieben, die sich ihre freie Zeit irgendwie vertreiben wollten (Altlateinisch : desportare = sich vertreiben, zerstreuen). Man arrangierte dabei körperlich beanspruchende Spiele, die nach festgelegten Regeln und ethischen Prinzipien, wie dem Fair-Play Gedanken, funktionierten. Es galt dabei als verpöhnt - und jetzt gut aufpassen - durch regelmäßiges Training besser zu werden, oder gar Geld damit zu verdienen. Die Tätigkeiten sollten in erster Linie nur dem Selbstzwecke, dem Amüsement und dem Zeitvertreib unter respektvollem Umgang miteinander dienen! (Man bedenke wie sehr sich der Sport folglich von seinen Wurzeln entfernt hat!)
Mit der Verbreitung in Europa, steigender Beliebtheit auf nationaler Ebene und der Institutionalisierung in Klubs, begann schließlich aus der Aufmerksamkeit eine neue Strömung heranzuwachsen, innerhalb derer der Sport zu allem Möglichen (entgegen der Sichtweise seiner Begründer) instrumentalisiert wurde. Egal ob auf pädagogischer, kommerzieller oder politischer (nationalsozialistischer) Ebene. Interessant ist hierbei, dass der e-Sport gegenwärtig eine erschreckend familiäre Entwicklung durchmacht, deren Ausgang jedoch noch bis auf weiteres ungewiss bleibt.
Vor dem Hintergrund einer parallelen Entwicklung von Sport und Gesellschaft verwundert es kaum, dass mit dem Auftreten der Digitalisierung innerhalb der zurückliegenden Jahrzehnte, letztlich der Sport sein digitalisiertes Pendant im e-Sport findet. Es ist der Ausdruck einer ganzen Generation, der Wissensgesellschaft, den Digital Natives und allen danach, die Leistungen, Sport und Wettkampf für sich neu definieren. Sprechen wir von der Anerkennung des e-Sport durch den DOSB, so sehe ich in meinen Augen insbesondere eine Auseinandersetzung, die ähnlich den "FridaysForFuture-Demos" ein Konflikt auf Ebene der Generationen, aber noch detaillierter auf Ebene der grundlegenden Systeme und Wertvorstellungen einer Gesellschaft ausgetragen wird. Wohin ist die Leitkultur ? Irgendwo im Netz.
Ich bin, das betone ich an dieser Stelle ausführlich, NICHT für die Anerkennung des e-Sport als Sport. Die Gründe liegen für mich zum einen in den hierarchischen Strukturen des DOSB, der wissenschaftlichen Uneinigkeit, sowie der mit der Anerkennung einhergehenden Verwässerung des Sportbegriffes. Der Sport heutzutage ist schon nicht mehr das, was ich für mein Verständnis unter Sport sehen möchte (vgl. Leistungssport/Profisport). Nichtsdestotrotz benötigt der e-Sport meiner Meinung nach Hilfe. Ich meine damit nicht nur die Anerkennung, ich meine auch die Professionalisierung auf Breitensportebene. Denn eines ist sicher. Das Phänomen wird in den nächsten Jahren wachsen und Zulauf bekommen. Die damit verbundenen Risiken in der körperlichen und geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind diesbezüglich existent und sollte man nicht ignorieren. Aber mit Verboten und Ausschluss sehe ich dem nicht entgegenzuwirken; zumal die ungenutzten und wünschenswerten Wirkungen des e-Sport ebenso existent sind. Und hier ist der traditionelle Sport gefragt. Wie lassen sich beide Welten vereinen und Trainingspläne gestalten ? Wo kann der e-Sport vom Sport - und umgekehrt - lernen und profitieren ? Wie integrieren wir den e-Sport in Schulen und schulen die e-Sport- und Medienkompetenz ? Gelingen uns diese Schritte, dann ist die Anerkennung ohnehin gesichert. Und was ist am Ende wichtiger ? Irgendein Titelzusatz oder das echt Gelungene ?
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